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Ein Mann fürs Grobe

Ein Mann fürs Grobe

Titel: Ein Mann fürs Grobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
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U-Bahn rausgekommen sein und den Bahnhof Alt-Tegel, die Endstation der Linie 6, um 23 Uhr 14 erreicht haben. Wenn man erst einmal eine Phantomzeichnung hatte, konnte das sehr wichtig sein.
    Zu seinem Erstaunen stand nur eine einzige Taxe am Halteplatz, was für diese Zeit – 17 Uhr 47 zeigte seine Armbanduhr – höchst ungewöhnlich war. Sonst lauerte immer eine ganze Schlange auf vollbepackte und eilige Fahrgäste, die weiterwollten nach Heiligensee, Konradshöhe, Tegelort, Hermsdorf oder Frohnau und keine Lust hatten, bei Wind und Wetter auf die unzuverlässigen Busse zu warten, den 124er, 125er, 133er, 222er und 224er. Den Grund für die gähnende Leere am Halteplatz sollte er von dem einzigen Fahrer, der noch verblieben war, schon bald erfahren.
    «Entschuldigung, Mannhardt, Mordkommission: Es geht um Ihren Kollegen Wolfgang Wuttkowski.»
    «Tut mir leid, hab ich nicht gekannt.»
    «Wo sind denn die anderen?»
    Der Fahrer verwies auf den schwarzen Trauerflor, der vorn an seiner Antenne flatterte. «Auf der Protestdemonstration, dem Trauerkorso...»
    «Ah, ja...»
    Mannhardt überlegte, ob er nicht schnell nach Hause gehen und duschen sollte. Er wohnte ja mit Heike zusammen keine zweihundert Meter weiter in den postmodernen IBA-Bauten am Tegeler Hafen. Nein, Heike kam sowieso erst mit der Maschine 20 Uhr 30 aus Bremen zurück, und der Papst war bei seiner Oma bestens aufgehoben. Erschien er früher, dann nutzte sie nur die Chance, stöhnte über ihre drei bis sieben eingebildeten Krankheiten und setzte sich ab Richtung Heimat.
    So hockte er sich auf eine Bank in der Fußgängerzone und erfreute sich an den vielen Frauen, die an diesem Sommertage kurze Röcke trugen und Schenkel zeigten, die für ihn erektionsfördernd waren. In Gedanken tat er es mit mindestens dreien, ohne sich dabei als Schwein zu fühlen, denn vor einigen Tagen hatte er bei «Vox» eine Sendung mit Lilo Wanders gesehen, und da hatten sie gezeigt, wie in England eine Frau nacheinander — für das Buch der Rekorde — von 363 Männern «geliebt» worden war. Die Idee zu diesem Rekordversuch war von ihrem eigenen Ehemann gekommen. Spengler hätte sein «Untergang des Abendlandes» umschreiben müssen. Noch mehr als diese Bilder faszinierte ihn aber das, was in seinem Kopfkino geschah: Es lief der Film «Tegel im Jahre 1950». Da hatte er oft als Junge an dieser Stelle, an der Kreuzung Alt-Tegel, Schloß- und Berliner Straße, gestanden und fasziniert verfolgt, wie die Straßenbahnzüge hier hielten, rangierten, warteten und wendeten. Die 25 und die 41, die zum Wedding fuhren, hatten die Endstelle hier, und die 28 und die 29 fuhren weiter durch den Wald nach Heiligensee beziehungsweise Tegelort. Er hatte die Gesichter der Triebwagen noch plastisch vor Augen: den Tw 24 mit dem kantig-quadratischen Nietengesicht, die Maximum-Tw mit ihrem schmalen und hohen Aristokratengesicht, die Wagen vom Typ «Stube und Küche» mit ihrer überhängenden Krempe.
    «Hallo, Jürgi, was machst du denn hier?»
    Seine Mutter. Er fuhr hoch und sah sich sofort, wie vor fünfzig Jahren, unter Rechtfertigungszwang. Da hatte sie ihn doch wieder mal beim Müßiggang erwischt, und es blieb ihm nichts als zu lügen. «Ich observiere einen Mann, der eben zu C & A gegangen ist.» Aber warum drehte er den Spieß nicht einfach um. «Sag mal: Wo hast du denn den Papst gelassen!?»
    «Der steht im kühlen Zimmer und schläft.»
    «Das kannst du doch nicht machen! Wenn da ’n Feuer ausbricht oder ’n Wasserrohr platzt!»
    Es klappte, seine Mutter hatte im Nu ein schlechtes Gewissen und eilte wieder zurück. «Aber komm nicht zu spät nach Hause und übernimm dich nicht. Paß auf dich auf!»
    «Ja, auf dich auch.»
    Sie eilte davon, und er träumte wieder von Straßenbahnen und von geilen Frauen. Wie er da rücklings auf der Bank lag, sie mit gespreizten Beinen über ihm standen und...
    Neben ihm begann ein Akkordeonspieler mit dem Radetzkymarsch, und zwar ebenso laut und schrill wie falsch. Mannhardt sprang auf und ging zum Taxistand zurück. Dort hatten sich inzwischen vier Wagen aufgereiht, und er konnte mit seinem Fragespielchen beginnen. Wie vom Tonband: Wie er hieß, warum er hier war, ob sie Wolfgang Wuttkowski gekannt und womöglich einen Blick vom Fahrgast, seinem mutmaßlichen Mörder, erhascht hatten.
    «Nee, tut ma leid. Ick hab zu der Zeit nich uff’m Bock jesessen, aba vielleicht der Kollege hinter mir.»
    «Bedauere sehr, mein Herr.»
    «Nein, und solange wir

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