Ein Mann - Kein Wort
anderen Geschlecht ebenso wie den Umgang mit ihm. Töchter erleben bei ihren Vätern entweder Anerkennung und Interesse, oder aber sie machen die Erfahrung, nicht wichtig zu sein bzw. gering geschätzt oder ganz abgelehnt zu werden. Dazu ein Beispiel: Eine junge Klientin erzählte mir, dass ihr Vater sich, da er selbstständiger Unternehmer war, in ihrer Kindheit kaum um sie kümmerte und auch später nie auf die Idee kam, sie als mögliche Nachfolgerin (der einzige Bruder kam aufgrund bestimmter Umstände dafür nicht infrage) in seine Firma hineinzunehmen. Ihr schien, dass er mit ihr als Tochter, sobald sie in die Pubertät kam und zur jungen Frau heranreifte, nichts mehr anfangen konnte, sie im Gegenteil eher mied. Er selbst hatte – wen überrascht es – eine sehr unglückliche Kindheit mit zwei emotional kalten und lieblosen Eltern. Seine Ehe war, so empfand es die Tochter, schon lange nur noch zweckorientiert und nicht von emotionaler Nähe oder Wärme bestimmt.
Die Frage ist: Wie wirkte sich diese permanente Nichtbeachtung auf die Tochter aus? Zum einen war sie für jede Form männlicher Aufmerksamkeit und Wertschätzung extrem empfänglich. Dafür zahlte sie allerdings einen hohen Preis, weil sie sich immer wieder unkritisch auf Männer einließ, die ihr weder ebenbürtig waren noch guttaten.
Zum anderen klagte die Klientin über ein äußerst schwaches Selbstwertgefühl – sobald sie beispielsweise einen Chef hatte, derähnlich despotische Züge oder Verhaltensweisen wie ihr Vater aufwies, kannte sie keine andere Lösung, als unverzüglich zu kündigen und sich eine andere Stelle zu suchen. Sie hatte niemals gelernt, sich gegen emotionalen Druck vonseiten eines Mannes zu wehren – so blieb ihr nur die Flucht. Dies zeigt, dass die Väter auf den späteren Umgang einer Frau mit dem anderen Geschlecht durchaus von großem Einfluss sein können.
Allerdings kann der Vater die Tochter emotional auch so stark an sich binden, dass diese als erwachsene Frau Probleme hat, ihre Liebe einem anderen Mann zu schenken. Unbewusst würde ihr eine solche Hinwendung wie ein Verrat am Vater erscheinen. 38
Eltern und Kinder – wie war es früher?
Generell kann man wohl sagen: Über Emotionen zu sprechen war früheren Generationen in unserem Land vermutlich eher fremd. Arbeiten, um zu überleben, tüchtig sein, ausdauernd sein, es vielleicht irgendwann besser haben – das waren die Lebensmaximen, denen sich in den unteren und mittleren Bevölkerungsschichten alles andere weitgehend unterordnete. Gefühle (z.B. Sehnsucht, Sinnlichkeit, Wunsch nach Nähe und Verbundenheit, nach Ekstase und überschäumender Freude, aber auch Neid, Groll, Wunsch nach Rache etc.) hatte man natürlich auch, und sie wurden bei bestimmten Anlässen wie Festen oder plötzlich auftretenden Konflikten teilweise auch sehr eruptiv und intensiv ausgelebt – doch darüber offen miteinander zu
sprechen
war meist undenkbar.
In den bürgerlichen und erst recht großbürgerlichen Schichten – in denen die sprachlichen Mittel, um Gefühle auszudrücken, aufgrund der höheren Bildung sehr wohl vorhanden waren – herrschte hingegen das Ideal der Selbstdisziplin und Selbstbeherrschung. »Haltung bewahren« wurde so zum Ziel der gesamten Lebensführung.»Nimm dich zusammen« und »Darüber spricht man nicht« waren die stillschweigenden Gesetze, die für unzählige Themen des Lebens und Miteinanderlebens galten – und damit auch für unzählige Themen des Leidens. Etwas »Peinliches«, gar »Intimes« anzusprechen oder womöglich die »contenance« (Haltung) zu verlieren – das war mit das Schlimmste und Schändlichste, was einem Angehörigen jener Schicht passieren konnte.
Mithilfe dieser höchst eindrucksvollen, aber eben auch häufig sich und anderen gegenüber erbarmungslosen Härte und Selbstdisziplin überstanden diese Menschen – wenn man nur an das 20. Jahrhundert denkt – zwei Weltkriege, Zerstörung, Flucht und Vertreibung, den Verlust unzähliger Familienmitglieder und Güter und vieles mehr.
Die Männer – hätten sie den Krieg durchgestanden ohne ein enormes Maß an Gefühlsverdrängung? Hätten sie auch in der Zeit nach dem Krieg ihr Leben ohne diese Verdrängung von Gefühlen – und nun auch Erinnerungen – meistern können? Ebenso die Frauen: Wie viele mussten sich oft nach kurzer, glücklicher Ehe plötzlich allein im Krieg oder später als Kriegerwitwen mit ein oder mehreren Kindern durchschlagen! Da war kein Raum für Träume,
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