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Ein Mann - Kein Wort

Ein Mann - Kein Wort

Titel: Ein Mann - Kein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Weingardt
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dieser lang anhaltende Schmerz, sondern auch die
emotionale Verdrängungsleistung
, die nicht unterschätzt werden darf. Beides wird im Kind tiefe Spuren im Umgang mit Gefühlen hinterlassen – wodurch wiederum seine eigene spätere Gestaltung von Beziehungen, insbesondere von einer Partnerschaft, in hohem Maß beeinflusst wird.
    Doch eines muss an dieser Stelle klar gesagt werden:
Eine Kindheit oder Jugend ohne erhebliche emotionale Belastungen war und ist eher die Ausnahme als die Regel
. War es in vergangenen Zeiten vor allem der verfrühte Tod eines Elternteils oder sonstiger Familienmitglieder, den Kinder zu verkraften hatten, ganz zu schweigen von frühzeitig verordneter Selbstständigkeit 45 oder permanenter materieller Not und Unsicherheit, so ist es heute der Verlust eines Elternteils durch Scheidung – oft verbunden mit materiellen Einschränkungen –, der Kindern schwer zu schaffen macht. Und immer schon hatten wohl nur wenige Kinder das Glück, in einer nicht nur scheinbar, sondern tatsächlich emotional gesunden, harmonischenFamilie aufzuwachsen oder wenigstens einen »verbleibenden« Elternteil zu besitzen, der ihnen beibrachte, wie man mit Gefühlen so umgeht, dass sie die Seele zwar belasten, aber nicht zerbrechen können.
    Und war es in vergangenen Zeiten vor allem die physische Erschöpfung aufgrund schwerer körperlicher Arbeit, so ist es heute oft die psychische Müdigkeit aufgrund von emotionalem Stress, die Väter – und Mütter – davon abhält, für ihre Kinder emotional so offen und ansprechbar zu sein, wie diese es zur eigenen Entwicklung, Entfaltung und Aufarbeitung ihrer Gefühle bräuchten.

7. Unsere gefühlsarme Gesellschaft
    »Gelehrt sind wir genug;
was uns fehlt, ist Freude,
was wir brauchen, ist Hoffnung,
was uns Not tut, ist Zuversicht,
wonach wir schmachten, ist Frohsinn!«
    C URT G OETZ
    Abgesehen von den gestiegenen psychischen Belastungen am Arbeitsplatz 46 bin ich der Meinung, dass unsere Gesellschaft insgesamt keine besonders förderlichen Bedingungen bietet, um sich zu einem emotional empfindsamen und lebendigen Menschen zu entwickeln, der mit seinen Gefühlen sozusagen in engem Kontakt ist. Einige Beobachtungen, die mich zu dieser Auffassung führen, möchte ich skizzieren.
     Die »Verinselung« der Kindheit
    Kinder wuchsen hierzulande noch bis in die 70er-/80er-Jahre des letzten Jahrhunderts in der Regel mit einem stabilen Kreis von Gleichaltrigen, Freunden, Mitschülern und Nachbarkindern auf, mit denen man mehr oder weniger die gesamte Freizeit vom Kleinkindalter bis in die Schulzeit teilte. Familiäre Beziehungen – meist gab es eine größere Verwandtschaft – wurden regelmäßiger und intensiver gepflegt als heute. Auf diese Weise entstanden stabile Bindungen, in denen es Streit, durchaus aber auch Versöhnung gab. Wo es zu Enttäuschungen kam, wo aber auch immer wieder so etwas wie neues Vertrauen entstand. Mit anderen Worten: Gerade die
Kontinuität und Stabilität
der Beziehungen bildeten eine ideale Voraussetzung,um den offenen Umgang mit Gefühlen sowie den jeweils in einer Situation angemessenen Gefühlsausdruck zu lernen. Hinzu kamen oft Geschwister – ein hervorragendes Übungsfeld des menschlichen Miteinanders –, die auch halfen, familiäre Belastungen gemeinsam zu verarbeiten. Es gab vertraute Nachbarn, deren Vorzüge und Launen, Stärken und Schwächen man im Lauf der Zeit einzuschätzen lernte. Die Gemeinschaftserfahrungen waren, vor allem in überschaubaren Kommunen, nicht nur zahlreicher, sondern auch intensiver und beständiger als heutzutage, wo das nächste als Freund oder Spielgefährte infrage kommende Kind oft so weit entfernt wohnt, dass spontane Zusammenkünfte gar nicht mehr möglich sind. Nicht zuletzt leben immer mehr Menschen ohne nachbarliche Beziehungen in insulären »Kleinstfamilien«, sodass die Kinder kaum mehr Interaktions- und Ansprechpartner außerhalb der Schule haben – es sei denn, Großeltern sind verfügbar.
     »Lebensabschnittsbeziehungen«
    Die zunehmende Häufung von »Lebensabschnittsbeziehungen« in Freundschaft und Liebe führt dazu, dass langsam gewachsene, durch viele gemeinsame Jahre und Erfahrungen immer mehr bewährte – und dementsprechend belastbare – menschliche Bindungen seltener werden.
    Einer der Gründe hierfür ist die beispielsweise von angehenden Akademikern erwartete hohe Mobilität, die schon in Schule und Studium beginnt. Im Gymnasium gibt es keinen festen Klassenverband mehr, mit dem man

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