Ein Mann - Kein Wort
Trauer und Schmerz, da hieß es einfach nur: nicht lamentieren, sondern funktionieren und die Zähne zusammenbeißen. Eine enorme Leistung, die uns Nachgeborenen tiefsten Respekt abnötigt!
Was also hätten diese Generationen – und zwar sowohl Mütter als auch Väter – ihren Kindern denn beibringen können, bezogen auf den offenen, bewussten Umgang mit Gefühlen? Sie hatten zunächst schlichtweg keine Zeit – und nahmen sich auch keine –, um das, was sie selbst erlebt und durchlitten hatten, zu reflektieren oder gar zu verarbeiten. Sie hatten aber auch keinen Raum, keinen Partner: Wen hätte das alles denn interessiert? Hatte doch jeder seine eigene Bürde an schweren Erinnerungen. Die Hinwendung zu einem Seelsorger erlaubte die eigene Scheu meist nicht, wohingegen der Gang zum Psychologen oder Psychotherapeuten fast undenkbar war – schon deshalb, weil es bis in die 70er-Jahre hinein kaum Vertreter dieses Berufsstandes gab.
Und die Kinder dieser Generation? Es sind die im und nach dem Krieg Geborenen, die heute ihrerseits teilweise schon Großeltern sind. Auch sie mussten oft schwerste Traumata erleben – der Verlust von Familienmitgliedern, die Ohnmachtserfahrungen und die namenlose Angst bei Bombardierungen, in Kellern und auf der Flucht, die schrecklichen Bilder, die sich in ihre kindliche Seele einbrannten, der stumme Schmerz, den die Eltern mit sich trugen und der nie wirklich zur Sprache kam … Diese damaligen Kinder übernahmen oft frühzeitig die Aufgabe, die Mutter zu trösten, den Vater zu ersetzen, so gut es eben ging, und die brüchige Harmonie ja nicht zu gefährden – alles Aufgaben, die mit enormer Gefühlsverdrängung und Selbstüberforderung für diese Kinder verbunden waren. Wann – und wo – sollten sie dies alles aufarbeiten, wann einen anderen Umgang mit sich selbst und den eigenen Emotionen einüben? Manche von ihnen lernen jetzt, im Alter, sich all diese Erfahrungen und Erlebnisse »von der Seele« zu sprechen oder zu schreiben. 39 Übrigens ist dies ein sehr tiefgründiger Ausdruck: »sich etwas von der Seele reden« – er verweist auf die Last, die auf unseren Seelen liegt, wenn wir schweigen.
Doch zurück zu den Männern. Wenn Jungen einst oder heute das Glück hatten und haben, Väter zu besitzen, die sich ihnen auch emotional öffnen und ihnen emotional nahe sind, dann lernen diese Söhne auf alle Fälle etwas sehr Wichtiges: Es gibt außer dem in der Gruppe der Gleichaltrigen vornehmlich geforderten Ideal des Starkoder »Coolseins«, also des Verbergens von schwachen Gefühlen, auch noch eine andere Art, mit Emotionen umzugehen. Dies gibt ihnen innere und äußere Widerstandskraft.
Doch leider sah die Wirklichkeit bei der Mehrheit der heute erwachsenen Männer anders aus. Ein wissenschaftliches Werk über Männerforschung 40 resümiert: »Viele Jungen haben sich in ihrerKindheit nach mehr Zärtlichkeit vom Vater und nach seiner Anerkennung gesehnt, und auch noch im Erwachsenenleben behalten sie diese Sehnsucht und suchen nach einem Vaterbild, das sie nie erlebt haben … Das größte Problem von Söhnen im Mannesalter ist aus der rückblickenden Sicht der Söhne die väterliche Distanz und Zurückhaltung. Sie haben darunter gelitten und es sich anders gewünscht. Sie haben sich bemüht, den Erwartungen ihrer Väter zu entsprechen, dabei jedoch immer Angst haben müssen, ihren Vorstellungen von Männlichkeit nicht gerecht zu werden.« Wen wundert dies Verhalten der Väter angesichts der deutschen Geschichte? Wenn ein Vater seine eigene Sehnsucht nach Verbundenheit womöglich jahrzehntelang tief in sich vergraben und geheim gehalten hat, ist es schwer für ihn, seinem Sohn den Wert von Verbundenheit und wechselseitiger Empathie nahezubringen.
Dazu ein Beispiel: Einer der Söhne des früheren deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt, heute 56 Jahre alt, erwähnte in einem Interview, dass sein Vater ihm eigentlich nie »reingeredet« hätte in sein Leben, auch nicht während seiner Jugendzeit. Dass sich hinter dieser scheinbar positiven Formulierung möglicherweise ein tiefer Schmerz über die dahinterstehende fehlende Verbundenheit, das fehlende
Interesse
des Vaters verbirgt, wird in folgender vom Sohn ebenfalls erzählten Episode deutlich: Er schenkte seinem Vater ein Buch von Bertolt Brecht, in das er eine Widmung schrieb. Der Vater schenkte ihm dieses Buch am nächsten Weihnachtsfest zurück – er hatte ganz offensichtlich sowohl vergessen, dass er es von seinem Sohn
Weitere Kostenlose Bücher