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Ein Mann - Kein Wort

Ein Mann - Kein Wort

Titel: Ein Mann - Kein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Weingardt
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bis zum Abitur Freud und Leid teilt, im Studium wechselt man mehrmals den Studienort, spätere befristete Arbeitsverträge erfordern nicht selten häufige Ortswechsel rund um den Globus.
    Wie ich in meiner seelsorgerlichen Arbeit mit hochbetagten Menschen feststellte, sind jedoch gerade Freundschaften, die in der Jugendzeit oder im jungen Erwachsenenalter geschlossen wurden, besonders langlebig und haltbar. Doch wo sollen bei den heutigen »Wochenarbeitsplänen« von Kindern und Jugendlichen solche Freundschaften noch gedeihen, wo sollen sie Zeit und Raum finden?Die Kinder pendeln von Gruppe zu Gruppe – von der Klasse in die Musikschule, von der Musikschule in den Sportverein, vom Sportverein in die Nachhilfe, und haben gar keine Zeit, sich intensiv mit Gleichaltrigen auszutauschen. Dazu kommt oft, dass gerade Jungen mit Vorliebe ihre Freizeit am Computer verbringen – durchaus kreativ, unter Umständen auch mit anderen zusammen, doch das Zusammensein konzentriert sich auf »die Kiste«; die persönliche Begegnung, beispielsweise im langwierigen Aushandeln von Spielregeln, wird weniger. Auch Erwachsene sind in ihrer Freizeit häufig in Gruppen und Vereinen engagiert, wo sie einen bestimmten Posten, eine spezielle Aufgabe haben, sodass der »zweckfreie Austausch«, bei dem man sich menschlich näherkommen kann, eher nebensächlich ist oder nur in großen Runden mit entsprechendem Zwang zur Oberflächlichkeit stattfindet.
    Dank Telefon und E-Mail werden heute selbstverständlich sehr viel mehr und sehr viel intensivere Fernbeziehungen gepflegt, als dies früher bei langen Postwegen der Fall war. Doch ist fraglich, ob damit auch eine größere emotionale Verbundenheit und Nähe verknüpft ist. E-Mails zu senden oder zu telefonieren ist eine schnelle Kommunikationsform, die weniger Nachdenken, auch weniger Gründlichkeit und Sorgfalt erfordert als das Briefschreiben, weshalb sie von immer mehr Menschen auch dem Briefschreiben vorgezogen wird. In der Geschütztheit des brieflichen Austauschs kann man sich jedoch eher einen tieferen Gedanken, ein intimeres oder komplexeres Gefühl bewusst machen und dem anderen in sorgfältig gewählten, wohlüberlegten Worten mitteilen als in dem raschen Ping-Pong-Spiel von Rede und Gegenrede am Telefon oder Handy.
    Auch fehlt den Fernbeziehungen das für die Vertrauensbildung ungemein wichtige Element des gemeinsamen Tuns und Erlebens, auch des gemeinsamen Lachens und Bangens, das Bindungen vertieft. Es fehlt die Zeit füreinander und miteinander. Wer Schönes, aber auch Schweres zusammen erfahren und durchgestanden hat, ist auf eine wesentlich tiefere Weise miteinander verbunden. Dies machen auch die oft sehr intensiven emotionalen Bande deutlich, die einst zwischen Soldaten im Krieg entstanden sind.
     Wachsender Zeitdruck im Beruf
    Auch am Arbeitsplatz besteht wegen der oben beschriebenen höheren Leistungsanforderungen, dem zunehmenden Zeitdruck und der gesteigerten Überwachung der eigenen Arbeit weniger Gelegenheit – und vielleicht auch weniger Bedürfnis – als früher, miteinander auch in freundschaftlichen und zweckfreien Kontakt zu treten. Außerdem sind bei vielen Arbeitenden die familiären Erwartungen und häuslichen Verpflichtungen gestiegen, sodass ein spontanes »Nach-der-Arbeit-Zusammensitzen« oder Ausdehnen eines geselligen Beisammenseins (beispielsweise nach einem Richtfest) nicht mehr ohne Weiteres möglich sind.
    Aufgrund der hohen Energie, die für die Arbeit aufgewendet werden muss, fühlen sich darüber hinaus viele Menschen in ihrer Freizeit so »abgeschafft«, dass soziale Verpflichtungen oder Kontakte für sie eher Last als Lust sind. Das sogenannte »cocooning« (= »sich einspinnen« in die eigenen vier Wände) hat sicher auch darin eine seiner Ursachen. Doch die vom Fernsehen ersatzweise massenhaft gelieferten »Erlebnisse aus zweiter Hand« sind mit echten menschlichen Begegnungen und der gelebten Anteilnahme am Geschick anderer Menschen nicht im Entferntesten gleichzusetzen. Im Gegenteil – wer an fremden Schicksalen nur via Bildschirm teilnimmt, verlernt es immer mehr, auf »echte« Menschen spontan zuund auf sie einzugehen, ihnen emotionalen oder anderweitigen Beistand zu leisten!
     Angst vor Verbindlichkeit
    Damit verbunden ist ein anderes Phänomen: Viele Menschen haben die Befürchtung, bei engerer Verbindung mit anderen Menschen auch noch
deren
Sorgen und Probleme praktisch mittragen zu müssen. Als ich kürzlich eine sehr einsame und

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