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Ein Mann - Kein Wort

Ein Mann - Kein Wort

Titel: Ein Mann - Kein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Weingardt
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untergebracht. Jeden Morgen und Abend kamen sie bei einer Prostituierten vorbei und erzählten ihr begeistert von ihren Erlebnissen und ihrem Glauben. Als sie sich am letzten Tag von der Frau verabschiedeten, fingen sie plötzlich an, hemmungslos zu weinen. Als die Frau fragte, was denn los sei, brach es aus ihnen heraus: Sie seien so traurig, dass sie, die Prostituierte, diese große Freude des Glaubens nicht erleben könne … Bald darauf rief diese Frau bei einem Priester an. Sie erzählte, dass es das erste Mal in ihrem Leben gewesen sei, dass Menschen um sie geweint hätten. Und nun wolle sie wissen, wie man Christin werden könne. 48 Offenbar hat es die Frau tief berührt, dass diese philippinischen Frauen so intensiven emotionalen Anteil an ihrem persönlichen Schicksal nahmen und dabei auf eine für uns Deutsche völlig ungewohnt offene Weise ihre starken Gefühle mitteilten.
    Dies ist im Übrigen auch etwas, was Menschen aus lateinamerikanischen oder afrikanischen Ländern bei uns intensiv auffällt: der eher gehemmte, um nicht zu sagen unterkühlte und verkrampfte Umgang mit Gefühlen, der zu einer für diese Fremden völlig ungewohnten Distanz, Unpersönlichkeit und fehlenden Wärme in den menschlichen Beziehungen führt.
    Zwischenbilanz: Die Sprachlosigkeit der Männer, wenn es um inneres Erleben und um weiche Gefühle geht, hat viele Ursachen. Hier noch einmal eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Gründe:
      Veranlagung
    Zahlreiche, möglicherweise sogar die meisten Männer haben von Natur aus ein geringeres
Bedürfnis
als Frauen, sich über ihr inneres Erleben und ihre Gefühle zu äußern und mit anderen auszutauschen. Außerdem fällt ihnen das Gespräch darüber oft schwerer. Sie praktizieren diesen Austausch von Kindheit an deshalb weniger und sind dementsprechend auch als Erwachsene ungeübter, über ihre Gefühle zu sprechen. Zur geschlechtsspezifischen Ausstattung der Männer gehört es auch, dass sie Sprache eher sach- und lösungsorientiert benutzen. Frauen sind hingegen in ihrer Kommunikation eher beziehungs- und »prozessorientiert« – in der gegenseitigen Mitteilung mitsamt den damit verbundenen emotionalen Erfahrungen liegt für die Frau ein wesentlicher Sinn ihrer Unterhaltungen, nicht unbedingt in einer damit bezweckten rationalen Problemlösung. Dieser Umgang mit Sprache ist Männern eher fremd.
      Sozialisation
    Erleben Jungen ihre Väter als eher verschlossen, was den Umgang und das Ausdrücken von Gefühlen anbelangt, so üben diese Väter in der Regel einen entsprechenden Einfluss auf ihre Söhne aus. Davon abweichendes Verhalten der Söhne wird von den Vätern meist nicht toleriert. Das väterliche Vorbild eines eher introvertierten oder verdrängenden Umgangs mit eigenen Gefühlen, verbunden mit der geringen Aufgeschlossenheit für die Emotionen und inneren Erlebnisse des Kindes, führt beim Sohn zu einem häufig ähnlich geprägten Gefühlsmanagement.
      Bedingungen des Arbeitslebens
    Die heutige Arbeitswelt beinhaltet eine Menge psychischer Stressfaktoren, verlangt jedoch andererseits in vielen Bereichen einen extremselbstkontrollierten, teilweise auch verdrängenden Umgang mit Gefühlen. Das kostet seinen Preis und wirkt sich in der Regel auch auf den privaten Umgang mit Emotionen aus. Die hohe zeitliche Beanspruchung führt in vielen Berufen darüber hinaus zu einer Vernachlässigung des Privat- und Beziehungslebens, was meist mit emotionaler »Unterentwicklung« Hand in Hand geht. Dies gilt besonders dann, wenn
beide
Partner beruflich stark eingespannt sind und nur noch wenig Zeit und Energie für die Beziehungspflege – geschweige denn für sonstige Freundschaften – übrig bleibt.
      Mangelnde Übungsmöglichkeit in der Familie
    Der reife und offene, angstfreie Umgang mit eigenen Gefühlen und emotionalen Bedürfnissen wird am ehesten in der Herkunftsfamilie sowie der selbst gegründeten Familie gelernt. »Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein« – so lautet sinngemäß die häufigste Begründung, weshalb Menschen Wert auf Familie legen (und zwar sowohl auf die Herkunftsfamilie als auch die selbst zu gründende Familie). Wenn das Familienleben jedoch immer mehr zum »Boxenstopp« verkümmert, in dem man sich nur noch zu gelegentlichen Mahlzeiten, gemeinsamem Fernsehen oder Organisationsabsprachen trifft (»Wer geht mit dem Hund raus? Wer kauft fürs Wochenende ein? Wann bringst du das Auto zum TÜV?«), dann wird dieses Einüben von Kommunikation, auch über

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