Ein Mann - Kein Wort
Gefühle, von Kindern und Jugendlichen immer weniger gelernt – und von Erwachsenen immer mehr verlernt. 49
Verkümmerung des sozialen Netzes
Zusätzlich zur Familie bilden Freundschaften eine wertvolle Möglichkeit, wesentliche Aspekte einer stabilen Beziehung einzuüben – Kritik und Gegenkritik, Streit und Versöhnung, Verletzung und Verzeihen, Anerkennung schenken und erfahren, Freud und Leidmiteinander teilen und vieles andere mehr. Auch wenn bei Freundschaften unter Jungen mehr das gemeinsame Aktivsein im Vordergrund steht als das gemeinsame Gespräch, bilden gleichwohl nicht nur weibliche, sondern auch männliche Freundschaften die Möglichkeit, gefahrlos aus sich herauszugehen und im eigenen inneren Erleben Anregungen, aber auch Korrektur und damit Entwicklung zu erleben. Aufgrund der massiven Verplanung der Zeit, ja sogar Freizeit von Kindern und Jugendlichen werden jedoch langjährige, schon im Schulalter geschlossene Freundschaften eher selten.
Die Folge: Im Erwachsenenalter muss häufig die Partnerschaft sämtliche Bedürfnisse nach Nähe, Geborgenheit, gegenseitigem Verständnis etc. erfüllen, da wenig sonstige Beziehungspartner im näheren Umkreis vorhanden sind. Hält die Zweierbeziehung diesem Druck der Anforderungen und emotionalen Erwartungen nicht mehr stand, so entwickelt sich bei einem oder beiden Partnern eine wachsende Frustration. Aus einem Miteinander- wird schleichend ein Nebeneinander-Leben, oft nur noch oder vorwiegend durch äußere Bedürfnisse oder Zwänge (Lebensstandard, gemeinsames Unternehmen, gemeinsamer Besitz usw.) zusammengehalten. Ein lebendiger geistiger und emotionaler Austausch findet, wenn überhaupt, dann nur noch in negativer Form statt – es kommt zu gegenseitigen Vorwürfen, Auseinandersetzungen und unter Umständen tagelangem beleidigtem Schweigen, was einer emotionalen Erpressung des Partners durch Liebesentzug gleichkommt.
8. Sprache und Körpersprache
»Die Grenzen deiner Sprache
sind die Grenzen deiner Welt.«
L UDWIG W ITTGENSTEIN
Sprache ist nicht alles …
Nichts ist alltäglicher als eine Unterhaltung – und nichts ist anspruchsvoller als ein gutes Gespräch. Sprache ist
das
zentrale Verständigungsmedium zwischen Menschen. Kinder lernen nach der Geburt zunächst jedoch, die
Körpersprache
ihrer Bezugspersonen genau zu beobachten und zu entschlüsseln, denn ein Säugling möchte vom ersten Lebenstag an
Verbundenheit
erleben. Dies setzt voraus, dass es wenigstens einen Menschen gibt, dem er vertrauen, bei dem er Geborgenheit und Angenommensein sowie emotionale Resonanz erlebt. Um diese Verbundenheit zu erleben und einzuüben steht dem Baby mangels ausgereiften Sprechwerkzeugen und mangels entsprechend vorhandener kognitiver Strukturen im Gehirn zunächst nur das Senden und Empfangen von Körpersprache zur Verfügung. Das Kind reagiert hochsensibel auf Blicke, Lächeln, Mimik, Stimme (Melodie, Lautstärke, Betonung usw.), Gesten und vor allem Berührungen – und sendet natürlich selbst ununterbrochen Signale aus. Und auch wenn neugeborene Mädchen im Durchschnitt länger Blickkontakt halten als Jungen, so ist doch auch für neugeborene Jungen die Erfahrung von Geborgenheit und Angenommensein, die durch Körpersprache vermittelt wird, fundamental wichtig.
Sobald wir Menschen allerdings in der Lage sind,
verbale Sprache
zu äußern und zu verstehen, tritt die Körpersprache in den Hintergrund. Das menschliche Bewusstsein kann sich pro Zeiteinheit immer nur auf eine Sache konzentrieren – das gilt für Männer undFrauen gleichermaßen 50 –, und so bevorzugen wir es automatisch, uns auf die gesprochene Sprache zu konzentrieren. Schließlich müssen wir unsere »Muttersprache« mühsam lernen, schließlich wendet sich auch die Aufmerksamkeit der Erwachsenen unablässig dieser Sprache zu, indem sie beispielsweise die grammatikalischen und sonstigen Fehler, die wir machen, beharrlich korrigieren: »Das heißt nicht ›der Auto‹, sondern ›das Auto‹!« Selten wird hingegen unsere Körpersprache kommentiert oder gar korrigiert.
Dennoch wird die nonverbale Kommunikation von uns allen weiterhin ununterbrochen eingesetzt und aufmerksam wahrgenommen – doch
nicht bewusst, sondern unbewusst
. Und natürlich können wir auch als Erwachsene sehr vieles mit Körpersprache ausdrücken – eine stumme Umarmung, ein freundliches oder versöhnliches Lächeln, eine zärtliche Stimme, eine liebevolle Berührung: All dies sind Signale, auf die jeder Mensch
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