Ein Mann - Kein Wort
wirkst sehr erschöpft«). Sie signalisiert damit noch einmal, dass sie Interesse an seinem inneren Erleben hat und Anteil an seinen Erfahrungen nehmen möchte.
Auf dieses zweite Nachfragen hin öffnet sich der Mann tatsächlich, aber auf seine Art: Er sagt nicht, wie es ihm persönlich geht – dass er nämlich sehr frustriert ist –, sondern schildert das Problem auf eine Weise, die zunächst von seiner eigenen Person ablenkt (»Diese Idioten von der anderen Abteilung«). Er versucht, was er am besten beherrscht, nämlich: ein Sachproblem zu konstruieren (»Wenn die anderen nicht so idiotisch wären …«), und
deutet nur an
, wie sehr ihn die Erlebnisse emotional schmerzen. An dieser Stelle hätte die Frau weiter nachfragen müssen: »Willst du damit sagen, dass du unter dem Verhalten deiner Kollegen sehr leidest? Was machen sie denn genau?«
Stattdessen wechselt sie vom einfühlenden Nachfragen mit einem Mal zum Angriff über. Ihre spöttische Frage (»Meinst du wirklich …«) könnte durchaus als indirekter Vorwurf gedeutet werden (»Vielleicht gehörst du ja auch zu den Idioten und merkst es nur nicht!«). Damit verlässt sie die Ebene des sachlichen Gesprächs und greift den Mann unvermittelt auf der Beziehungsebene an. Der Mann reagiert verständlicherweise irritiert und abwehrend, weil er den abrupten Themenwechsel, der ja auch ein Wechsel der Gesprächsebene ist, nicht einfach hinnehmen möchte. Er versucht, seine Selbstmitteilung – zu der sie ihn ja ausdrücklich aufgefordert hatte! – fortzuführen. Doch so weit kommt es gar nicht, weil sie ihm uneinfühlsam ins Wort fällt (»Doch …!«) und ihren Angriff gegen ihn sogar noch konkretisiert und ausweitet.
Damit hat sie es endgültig geschafft, die Ebene der empathischen Anteilnahme zu verlassen. Sie nutzt stattdessen seine Bereitschaft zum Gespräch über sich selbst, um ein offenbar schon lange in ihrschwelendes Beziehungsproblem anzuschneiden (möglicherweise: »Ich leide darunter, dass du auch in unserer Beziehung für Probleme keine Verantwortung übernimmst«). Der Mann durchschaut das Spiel und reagiert mit Ärger und Rückzug.
Fazit:
Durch ihren vorschnellen Angriff würgte die Frau ihren Mann, der gerade erst vorsichtig begonnen hatte, sich zu öffnen, unverzüglich wieder ab und löste bei ihm einen »Abschottungsreflex« aus. Das nächste Mal wird er sich vermutlich nicht mehr so unvorsichtig aus der Reserve locken lassen …
Weibliches Überlegenheitsgefühl
Frauen neigen aufgrund ihrer ausgeprägteren Bewusstheit in Bezug auf emotionale Befindlichkeiten und atmosphärische Störungen in Beziehungen bisweilen gern dazu, Männer als defizitäre Wesen anzusehen, die sozusagen mit einem verkrüppelten Gefühlsleben geschlagen sind, aus dem nur »Frau« sie erretten kann. Hier mangelt es an Respekt vor der Andersartigkeit des Mannes. Stattdessen macht die Frau ihre eigene Veranlagung zum Maß aller Dinge. Eine solche, sicher oft unbewusste Überheblichkeit löst bei Männern eher Rückzugstendenzen aus als Angriffsbereitschaft. Sie wollen ja gar nicht mehr unbedingt als überlegen, aber wenigstens als
ebenbürtig
anerkannt werden und haben keine Lust, darum zu kämpfen – zu Recht.
Mir fällt im Gespräch mit Ehepaaren beispielsweise des Öfteren auf, dass Frauen unverblümt irgendein Defizit ihres Partners beklagen (»Mein Mann ist so unordentlich, dauernd muss ich hinter ihm herräumen!« – »Er hat es nicht gelernt, auf Menschen zuzugehen, deshalb muss ich unsere ganzen sozialen Kontakte pflegen!« – »Mein Mann vergisst in letzter Zeit alles, ist das bei Ihrem auch so?«) – während Männer dies von sich aus wesentlich seltener tun. Sie verteidigen sich zwar – oft etwas verlegen und unbeholfen (»Das stimmt doch gar nicht!« – »So schlimm ist es auch wieder nicht!«) – gegenüber diesen Vorwürfen, aber interessanterweise gehen sie selten zum Gegenangriff über (»Und was ist mit dir? Dukannst dich von nichts trennen, das ganze Haus ist langsam vermüllt!« – »Und du? Bis heute kannst du keine Stromabrechnung lesen!«). Nach meiner Erfahrung neigen sie zu solchen Retourkutschen weitaus seltener als Frauen, wenn sie angegriffen werden.
Männer sind – so mein Eindruck – eher bereit, ihre Partnerinnen so zu akzeptieren und zu tolerieren,
wie sie sind
, während Frauen meist eines Tages anfangen, an ihren Partnern diverse Mängel wahrzunehmen und anzuprangern.
»Klar«, könnte »Frau« an dieser Stelle
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