Ein Mann wie ein Erdbeben
Kindheit Betrogene, der Hochgepäppelte, der Ratlose, der Suchende, der ewig Herumirrende, der mit Komplexen Vollgestopfte, der superreiche Arme –«
»Hören Sie auf, Doktor. Ich ertrinke in Tränen!« Haferkamp blickte seinen Anwalt böse an. »Das ist doch alles Quatsch, was Sie da deklamieren! Bob ist ein Miststück … damit müssen wir uns abfinden!«
»Kein Mensch wird als Miststück geboren.«
»Aber der Keim ist in ihm!« brüllte Haferkamp. »Will man mich jetzt für das Untier Robert verantwortlich machen?« Er stampfte zu den hohen Fenstertüren und starrte hinaus in den Park. Erdscheinwerfer beleuchteten Baumgruppen und Büsche, hoben sie wie Zauberwesen aus der Nacht heraus … ein Reich Oberons, des Elfenkönigs. »Bringen Sie Bobs Frau nach Düsseldorf«, sagte er rauh. »Wie soll es weitergehen?«
»Einreichen der Scheidungsklage noch morgen. Ich habe mit Landgerichtsdirektor Emmenberg gesprochen. Wir bekommen den schnellstmöglichen Termin.«
»Und wenn Bob nicht will? Bestimmt will er nicht – schon um uns zu ärgern.«
»Er wird müssen! An dieser Klageschrift wird kein Gericht mehr vorbeigehen, und außerdem ist die Verhandlung nicht öffentlich.«
Haferkamp drehte sich langsam um.
»Bravo, Doktor«, sagte er gepreßt. Seine Augen hinter der Brille funkelten. »Sie haben eine Art, einem Angst einzujagen! Wann entmündigen Sie mich?«
»Wenn es nötig ist, Herr Haferkamp.« Dr. Dorlach lächelte breit.
Haferkamp nickte mehrmals. »Tatsächlich, man sollte Sie erschlagen und verscharren! Los, fahren Sie nach Düsseldorf! Nehmen Sie den Scheck mit. Vielleicht hypnotisiert die Zahl Hunderttausend das kleine Mädchen doch noch, wenn sich die erste seelische Krise gelegt hat. Ein Scheck ist das beste Pflaster … das ist die einzige unumstößliche Erfahrung, die ich gesammelt habe. Alles andere ist auf schwankendem Boden gebaut. Fahren Sie los, Doktor …«
Eine Viertelstunde später verließ Dorlachs BMW die Auffahrt der Barreis-Villa. Haferkamp sah ihm nach und atmete tief auf, als die Rücklichter in der Nacht verschwanden.
Irgendwie war er stolz auf sich. Es hebt immer die Stimmung, wenn man ein Sieger ist. Wenn auch ein mieser Sieger …
In dieser Nacht fuhr auch noch ein anderer Wagen durch die Dunkelheit des Vredenhausener Forstes. Allerdings nicht nach Düsseldorf, sondern tiefer in den Wald hinein, über schmale Landwirtschaftswege und durch enge Schneisen.
Hellmut Hansen suchte einen Platz in der Einsamkeit. Hinter ihm, auf den Rücksitz gelegt, schaukelte bei dem unebenen Boden der tote Ernst Adams. Er hatte noch seine Hosenträger um den Hals geknotet. Hansen hatte ihn nur vom Verschluß des Kellerfensters abgehakt, auf das Bett gelegt und die völlige Dunkelheit abgewartet.
Es waren zwei merkwürdige Stunden gewesen. Jeder Mensch empfindet in Gesellschaft eines Toten eine unerklärliche heilige Scheu und eine tiefsitzende Angst. Nicht vor dem leblosen Körper, der nun der friedlichste auf Erden ist, sondern Angst vor dem eigenen Tod, dessen Gesicht man nun kennt und mit dem man sich identifizieren kann. Bei Hellmut Hansen war es anders. Er spürte nicht die kalte Nähe des Unabwendbaren, dem wir stündlich immer näher entgegenleben, sondern nur eine eiskalte Wut über die Folgerichtigkeit, mit der der alte Adams gestorben war.
Kein Recht mehr auf der Welt, kein Leben mehr auf dieser Welt. Das schien der letzte Gedanke des Alten gewesen zu sein, als er im Rundfunk die Urteilsübertragung gehört hatte. Dazu die völlige Hoffnungslosigkeit, dieses Dornengestrüpp von Lüge und Bestechung zu durchschlagen, um seinen armen, verbrannten Sohn Lutz zu rächen. Er kapitulierte vor den Barreis'. Das Ganze war für diese nichts Neues … für den alten Adams bedeutete es sein eigenes Todesurteil. Das Schwache muß weg. In der Natur war es genauso. Das Vogelbaby, das aus dem Nest fällt, verreckt.
Und so ließ sich der alte Adams, stolz gegen sich selbst, am Griff des Kellerfensters verrecken.
Das erfüllte Hansen mit Wut und Phantasien der Rache. Obwohl ihn Theodor Haferkamp zum Nachfolger bestimmt hatte, war er kein Barreis-Knecht. Er war gesund, er kam aus dem Volk, das es seit Jahrhunderten gelernt hatte, den Nacken zu beugen vor dem Kapital, und das nichts mehr herbeisehnte als den Messias ihrer Rechte. Vredenhausen war ein Musterbeispiel dieses Lebens: Wohlstand für alle, Arbeit für alle, Zufriedenheit für jeden, Sicherheit über alle Zukunft … aber erkauft mit dem
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