Ein Mann wie ein Erdbeben
Haferkamps Wagen, wie ein Saboteur, der sein Werk beendet hat, das Abendessen in diesen prunkvollen Räumen der Barreis-Villa, der Scheck über hunderttausend Mark und die Frage, was Bob jetzt machte, zurückgelassen mit Rätseln, die er von sich aus nie lösen konnte. Das alles war fürchterlich, aber gleichzeitig nicht mehr hinauszuzögern. »Ich bin freiwillig gegangen.«
»Der Effekt ist der gleiche. Betrachten Sie den Scheck als Startschuß für ein neues Leben.«
»Ich habe meinen Beruf.«
»Auch wenn Sie nur einige Wochen den Namen Barreis trugen, ist es mir unerträglich, Sie als Barfrau zu wissen. Machen Sie eine Boutique auf … das ist ja wohl jetzt das Aktuellste bei jungen Unternehmerinnen. Dr. Dorlach wird Sie beraten. Ich schenke Ihnen das Startkapital.«
»Es bleibt immer ein Judaslohn. Nein!« Marion sprang plötzlich auf, so abrupt, daß Haferkamp zusammenfuhr. »Kann ich jetzt gehen?«
»Wohin denn? Um diese Zeit?«
»Es wird in Vredenhausen doch ein Hotel geben.«
»Unmöglich! In der Stadt kennt man Sie als Bobs Frau. Und dann in einem Hotel?! Wollen Sie einen neuen Skandal provozieren? Sie sind mein Gast, selbstverständlich.«
»Ich möchte nicht in diesem Haus schlafen –«, sagte Marion fest. »Lassen Sie mich wegbringen. Von mir aus nach Düsseldorf. Dort kennt mich keiner.«
Haferkamp drehte sich um zu Dr. Dorlach. »Hunderttausend Mark wirft sie in die Gosse, will nicht hier schlafen … verstehen Sie das, Doktor?«
»Ja –«, antwortete Dorlach knapp.
»Natürlich, Sie verstehen das! Grenzbereiche des Menschlichen sind Ihre Spezialität, wie hätten Sie es sonst auch so lange mit Bob aushalten können. Marion –« Haferkamp drehte sich wieder zurück –, »warum sind Sie freiwillig von Bob weg? Wenn Sie schon Geld verachten, dann seien Sie so ehrlich, mir die Wahrheit zu sagen. Die unbekannte Wahrheit quält mich. Warum?«
»Ich liebe Bob –«
»Und das ist neuerdings ein Grund, seinen Ehemann in die Pfanne zu hauen?! Die Welt wird immer komplizierter. Früher galt Liebe als Garantie für eine lange, glückliche Ehe.«
»Ich liebe Bob –«, sagte Marion noch einmal. Dann wurde ihre Stimme leiser und begann zu schwanken. »Aber ich habe nicht mehr die Kraft und die Nerven, eine Tote oder ein Kind zu sein …«
Haferkamp starrte Marion an, als fiele ihr plötzlich das Fleisch von den Knochen. Er verstand kein Wort.
»Begreifen Sie das, Doktor?« fragte er wieder.
Und wieder antwortete Dr. Dorlach: »Ja –«
»Ja! Ja! Ja! Bin ich ein Vollidiot?!« Haferkamp schlug mit der Faust auf die dicke Marmorplatte. »Was heißt hier Tote oder Kind?«
»Ich erkläre es Ihnen später, Herr Haferkamp.«
»Später! Bin ich ein Säugling, dem man einen in Honig getauchten Schnuller verspricht? Was hat Bob in seiner Ehe angestellt? Heraus mit der Sprache!«
»Ich kann nicht mehr!« sagte Marion leise. Sie schlug beide Hände vor die Augen und rannte aus dem Zimmer, Haferkamp sprang auf, wollte ihr nachlaufen, aber Dr. Dorlach hielt ihn am Ärmel zurück.
»Sind Sie verrückt?« bellte er. »Ist hier denn alles verrückt? Wo will sie denn hin?«
»Nur bis ins nächste Zimmer.« Dr. Dorlach ließ Haferkamp los. »Ich fahre sie nach Düsseldorf. Im Park-Hotel habe ich immer ein Zimmer für mich frei, dort kann sie sich ausschlafen.« Er hob den Arm und sah auf seine Uhr. »Ich vermute, daß Bob bald anruft. Wir sind in Duisburg, Herr Haferkamp. Eine Industriebesprechung.«
»Ein Dorlach'scher Schlachtplan! Macht mir alle Flügel stark … besser noch als Schlieffen – der wollte nur einen starken rechten Flügel. Es ist also alles ein abgekartetes Spiel?«
»Nein. Der Zufall schuf neue Positionen. Der nervliche Zusammenbruch von Frau Barreis kam uns entgegen.«
»Sprechen Sie im Zusammenhang mit Marion Cimbal nicht den Namen Barreis aus!«
»Sie ist es nun einmal nach dem Gesetz.«
»Doktor, auch das Wort Gesetz in Ihrem Mund wird zu einem stinkenden Zungenbelag! Sie reden von Recht?«
»Ja. Unser aller Leben wird durch Rechtsfragen geregelt – es kommt nur immer darauf an, wie man diese Fragen beantwortet.«
»Ein Dorlachsatz!« Haferkamp lachte fast versöhnt. Dann wurde er ebenso plötzlich wieder ernst. »Warum brach Marion nervlich zusammen?«
»Bob ist ein Sadist schlimmster Sorte.«
»Auch das noch! Aber sie liebt ihn.«
»Den anderen Bob Barreis, den, der nur ab und zu zum Vorschein kommt, den er selbst kaum kennt. Der Einsame, der Verzogene, der um seine
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