Ein Mann wie ein Erdbeben
Barreis durch die Barreis auffressen lassen! Good evening, Sir!«
Bob tippte an den Haaransatz und verließ den Gerichtssaal. Dr. Dorlach blieb allein zurück, einsam in seiner schwarzen wallenden Robe, die Akten unter den Arm geklemmt. Der Gerichtsdiener, der die Türen schließen und die Fenster zum Lüften öffnen wollte, räumte geräuschvoll den Vorsitzendentisch auf. Er klapperte mit Wasserkaraffe und Glas. Eine deutliche Aufforderung zu gehen.
Dr. Dorlach wandte sich langsam zur Tür. In wenigen Minuten beginnt des Dramas zweiter Teil, dachte er. Schon jetzt wird Bob Barreis ratlos sein. Aber es ist besser, einen Menschen zu zerbrechen, als Arbeit, Lohn und kleinen Wohlstand einiger tausend Arbeiter aufs Spiel zu setzen. Wer zerstören will, muß zerstört werden, auch wenn er ein Barreis ist. Das ist zwar mittelalterlich, aber immer noch die beste Form des Überlebens. Es gibt nichts vergleichbar Besseres als die Vernichtung des Gegners. Jedes Arrangement birgt die Gefahr der Unsicherheit. Der Prozeß gegen das Recht ist gewonnen … nun beginnt der zweite Prozeß: der Auflösungsprozeß von Bob Barreis. Fast ein chemischer Akt.
Er verließ den Gerichtssaal und sah Bob Barreis ratlos und allein im Korridor stehen. Es schien, als wolle er zu Dr. Dorlach laufen und ihn etwas fragen, aber dann hielt er sich zurück – man sah es ganz deutlich – und drehte sich um, als Dr. Dorlach an ihm vorbeiging.
Marion war nicht da.
Sie wartete nicht auf dem Flur, sie stand nicht in dem großen Treppenhaus, sie wartete nicht draußen auf der Straße. Bob war hin und her gerannt er hatte sogar einen Justizbeamten angehalten und gefragt, aber Justizbeamte haben andere Aufgaben, als sich um abwesende junge Ehefrauen zu kümmern.
Bob blieb noch eine Viertelstunde stehen, suchte dann die WCs ab und verließ endlich mit deutlichen Anzeichen von Hilflosigkeit das Gericht. Ein Gedanke blieb noch übrig, und der wirkte beruhigend, fast betäubend auf sein aufflammendes Gefühl der Panik: Marion ist vorausgefahren. Sie wird zu Hause eine Flasche kalt stellen, das Bett aufschlagen, mich empfangen, wie es einem Sieger gebührt. Wie einen goldenen Preis wird sie mir ihren Körper bringen … es wird meine seligste Nacht in ihren Armen werden.
Da alle fortgefahren waren … Onkel Theodor mit seinem schweren Wagen, der ihn zum Gericht gebracht hatte – Dr. Dorlach, Hellmut, Marion, Tschocky (Bob hatte ihn in der letzten Zuschauerreihe sitzen sehen) – winkte er ein Taxi heran und ließ sich hinaus nach Bredeney fahren.
Schon auf der Straße, bevor er aus dem Wagen stieg, sah er, daß die Fenster von Marions Apartment dunkel waren. Er zahlte, fuhr mit dem Fahrstuhl hinauf, schloß die Wohnung auf und fand sie wirklich leer.
Verwirrt setzte er sich in einen Sessel, sprang dann wieder auf, goß sich an der kleinen Klappbar einen riesigen Whisky ein und kippte ihn mit einem Zug hinunter.
Das gibt es doch nicht, dachte er und wußte keine Antwort auf alle einstürzenden Fragen. Wo kann denn Marion sein? Das alles ist unbegreiflich. Plötzlich brach Schweiß an seinem ganzen Körper aus, er verkrampfte die Finger ineinander, daß sie knackten.
Ein Unfall. Sie kann einen Unfall gehabt haben! Auf dem Weg nach Hause, glücklich, daß wir alles überstanden haben, kann sie eine Sekunde unaufmerksam gewesen sein. Nur eine Sekunde … sie genügte. Sie genügte wie damals in den vereisten Seealpen, als Lutz Adams verbrannte.
Bob Barreis begann mit den Zähnen zu klappern. Er griff zum Telefon, suchte die Nummer des Polizeipräsidiums, wählte die Sammelnummer und verlangte die zentrale Unfallerfassungsstelle.
Der Beamte hörte sich das Gestammel an und sagte dann mit einer nüchternen Stimme: »Eine Marion Barreis oder eine Frau nach Ihrer Beschreibung ist nicht unter den Unfallmeldungen.«
Bob ließ den Hörer zurückfallen. Er riß die Decke vom Tisch, wischte sich mit ihr den Schweiß vom Gesicht und griff dann wieder zum Telefon. Es kostete ihn eine ungeheure Überwindung, diese Nummer zu drehen, aber die Angst um Marion war stärker als sein ganzer, ihn wie ein Korsett stützender Stolz.
Vredenhausen. Das Barreis-Schloß.
Eine distinguierte Stimme, etwas näselnd: »Bei Barreis, bitte.« Butler James.
»Hier auch Barreis!« schrie Bob. »James, meinen Onkel bitte!«
»Herr Haferkamp weilt in Duisburg.«
»Dr. Dorlach!«
»Ebenfalls.«
Die Besprechung – also keine Lüge. »Danke!« sagte Bob schwach. »Es ist gut, James.
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