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Ein Mann wie ein Erdbeben

Ein Mann wie ein Erdbeben

Titel: Ein Mann wie ein Erdbeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gute Nacht.«
    »Gute Nacht, Herr Barreis.«
    Knacken. Tote Leitung. Tot … Bob kroch in sich zusammen und beherrschte sich, um nicht zu wimmern wie ein getretener Hund.
    Er wußte nicht, daß in dieser Minute in Vredenhausen Haferkamp neben seinem Butler James stand.
    »Das haben Sie gut gemacht, James«, sagte er. »Hier haben Sie hundert Mark.«
    Der Geldschein flatterte in James' Hand. Eine korrekte, tiefe Verbeugung.
    »Meinen gehorsamsten Dank, Herr Haferkamp.«
    Gehorsam … das war es, was Haferkamp in Vredenhausen eingeführt hatte. Gehorsam gegenüber der Macht. Für Haferkamp die einzige Lebensform, die sinnvoll, nutzbringend und gottgewollt für den Menschen war.
    Bob Barreis wartete bis weit nach Mitternacht. Dann begann er völlig sinnlos und in Zeitlupe, die Wohnung zu zertrümmern. Nicht explosiv, mit allen Ausbrüchen einer sich befreienden Natur, sondern still, gespenstisch fast, lautlos … eine in Watte eingedrehte Vernichtungswut.
    Er zerbrach die Gläser und das Geschirr, schlitzte mit einem langen Küchenmesser die Polster der Sessel und der Couch auf, zerschnitt die Matratze, holte Stück um Stück der Wäsche aus dem Schrank und zerriß sie, trennte Marions Kleider auseinander, zerstückelte den Pelzmantel … und es war etwas so Grauenhaftes in seiner Lautlosigkeit und den langsamen, alles ruinierenden Bewegungen, daß es wie die Tätigkeit eines Phantoms aussah.
    Als letztes kamen die Möbel dran. Fuß nach Fuß brach er aus den Stühlen und den Tischen heraus, auch hier wie im Schlafwandel, selbst vor den knackenden Geräuschen, die die einzigen waren, zusammenzuckend; er riß die Gardinen von den Leisten, die Bilder von den Wänden und die Kabel aus den Lampen. Als nur noch die Stehlampe neben der zerfetzten Couch brannte, als ihn nur noch Trümmer umgaben, hervorquellende Polsterwatte wie Gedärme aus einem aufgeschlitzten Leib, fiel er in die Knie, wühlte sich in die Zerstörung, stach das lange Messer in den Teppich und begann zu weinen, kindhaft, hemmungslos, sich völlig in seinem Schmerz verbrauchend.
    Nach einer Stunde setzte er sein Vernichtungswerk fort. Ebenso lautlos, zeitlupenhaft, mit einer schrecklichen, stummen Perversion.
    Er zerstörte das Zerstörte noch einmal. Wühlte in den Eingeweiden der Sessel und der Couch, der Matratze und der Polsterstühle, holte die Polsterwatte und Schaumgummiplatten oder Schnitzel heraus, verstreute sie um sich, badete seine zitternden Hände in der Weichheit der aufgeschlitzten Möbelleiber und schuf um sich ein Chaos in Vollendung.
    Gegen Morgen verließ er die Wohnung wie ein Mörder, der sein Opfer zerstückelt, die Teile verstreut und die Tapete mit Blut übermalt hat. Er kannte eine Kellerkneipe, die morgens um fünf Uhr öffnete, um die Markthallenarbeiter zu stärken mit Ochsenschwanzsuppe, Bouillon und ›Löwenköttel‹, wie man dort die Frikadellen nannte. Hier setzte sich Bob Barreis in eine Ecke, bestellte ein Bier und schlief übermüdet ein, den Kopf gegen die Wand gelehnt.
    Der erste Schritt in die Tiefe war getan.
    Er hing in einer Ecke wie ein Penner, ein Landstreicher, ein Wermutbruder. Eine kleine graue Maus, so arm, daß sie nicht einmal ein Loch hat, sich zu verkriechen …
    In dieser Nacht, die Bob Barreis – ohne daß er es selbst merkte – auf eine andere Bahn abschob, die einmal im Dunkel enden mußte, entschied sich in Vredenhausen ein anderes Schicksal.
    Theodor Haferkamp stellte einen Scheck über hunderttausend Mark aus und schob ihn über den Marmortisch in der Bibliothek. Dr. Dorlach war als Zeuge dieses Vorgangs zugegen.
    Marion Cimbal, die nun Barreis hieß, schüttelte den Kopf.
    »Ich will kein Geld«, sagte sie hart. »Nicht Ihr Geld und nicht dieses Geld und schon gar nicht Geld für das, was geschehen ist! Ich bin keine Hure.«
    »Das hat niemand behauptet.« Haferkamp steckte sich eine Zigarre an. Daß man hunderttausend Mark nicht annahm, war ihm unverständlich. »Ich hatte Ihnen diese Summe versprochen, wenn Sie sich nach dem Prozeß von Bob trennen und die Ehescheidung einreichen. Beides haben Sie getan, spontan, direkt nach dem Prozeß … Und nun verwirren Sie mich, indem Sie unsere geschäftliche Angelegenheit nicht goutieren. Wie soll ich das verstehen?«
    »Ich habe mich nicht von Ihnen kaufen lassen – das soll es heißen.« Marion senkte den Kopf. Es war alles so schrecklich, aber auch so notwendig gewesen: Der spontane Entschluß auf dem Korridor, die Fahrt nach Vredenhausen in

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