Ein Mann wie ein Erdbeben
wohnte, und drückte dem Portier hundert Francs in die Hand, was jede Frage sofort verstummen ließ. Dann trug ihn der Lift in die fünfte Etage. Apartment 512. Mit Blick auf das Meer. Vollklimatisiert. Pro Nacht dreihundertfünfzig Francs. Ohne Frühstück und Mehrwertsteuer.
Hellmut Hansen klopfte siebenmal an die Teaktür mit der goldenen Zahl 512, ehe sich etwas rührte. Ein Schlüssel drehte sich im Schloß, dann spähte jemand durch die Türritze nach draußen.
»Bob, mach auf«, sagte Hansen.
»Hellmut!« Barreis riß die Tür auf. Er war nackt, nur um seine Hüften schlang sich ein Frottiertuch. Seine dunkelbraunen Haare hingen ihm verschwitzt über das Gesicht. Früher waren diese Haare silberblond gewesen, ein Engelsköpfchen, wie Tante Ellen ausgerufen hatte. Erst mit zehn Jahren färbten sie sich dunkler ein, mit vierzehn waren sie braun, durchzogen von einem Schimmer von Mahagoni, und so blieben sie auch. Haare wie Glut unter der Asche. »Bist du vom Himmel gefallen?!«
»Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich bin mit eurer Cessna hier. Befehl von Onkel Theo.«
»Mein Telegramm.«
»Ja. Und die Berichte im Radio und im Fernsehen.«
»Scheußlich, Hellmut.«
»Scheußlich ist, daß du mich im Flur stehen läßt.«
»Ich bin nicht allein –«
»Dann laß die Kleine aus dem Bett hüpfen und husch-husch wie ein Kätzchen verschwinden.« Hansen drängte sich an Bob vorbei in das Apartment und ließ sich in den nächsten Sessel fallen. Eine halbvolle Flasche Sekt schwamm in dem Eiswasser des Kübels. Hansen zog sie heraus, trocknete sie mit der daneben liegenden Serviette ab und trank ein paar Schlucke des abgestandenen Champagners. Im Nebenraum, dem Schlafzimmer, rumorte jemand. Das Bett knirschte.
»Sie soll sich anziehen!« sagte Hellmut Hansen laut. Er sprach jetzt französisch, und wer das Mädchen nebenan auch war – auf diese grobe Aufforderung gab es nur ein stummes Gehorchen. Bob Barreis verzog sein übernächtigtes Gesicht.
»Es ist keine Mieze«, flüsterte er und beugte sich zu Hansen herunter. »Es ist Pia Cocconi. Die Geliebte des Prinzen Orlanda …«
»Seit wann bist du Prinz?«
»Hellmut, laß den Unsinn. Warte unten in der Halle auf mich. In einer halben Stunde … ich verspreche es dir.«
Er zog Hansen aus dem Sessel, drängte ihn aus dem Zimmer, knuffte ihn freundschaftlich in den Rücken und warf die Tür zu.
Wie sagte Theo Haferkamp?
Das Verhältnis zwischen Hellmut und Bob ist wie zwischen Hirn und Auge. Sie gehören zusammen.
Hansen setzte sich unten in der Halle in eine Ecke, bestellte sich einen Mokka und blätterte die Morgenzeitungen durch. Fast alle brachten Berichte von dem Unglück in den Seealpen. Den Untersuchungen der Polizei zufolge war der Tote, Lutz Adams, der Schuldige an dem grausigen Unfall. Er hatte den Wagen gelenkt, von ihm stammte die wahnwitzige Idee der Felsenfahrt. Die Fotos zeigten noch einmal den ausgebrannten Maserati. Ein zusammengedrückter Blechhaufen, der später gebrannt hatte.
Hellmut Hansen betrachtete in aller Ruhe diese Bilder. Er war kein Polizist, und er war auch nicht beeindruckt von dem unmittelbaren Erlebnis am Unfallort. Er dachte nüchtern, analytisch, mit einer wissenschaftlichen Akribie.
Wie war es möglich gewesen, daß Adams eingeklemmt starb und Bob Barreis überlebte? Im Augenblick des Aufpralls konnten zwar die Türen aufspringen, der ganze Wagen konnte auseinanderplatzen … aber das nutzte den Fahrern wenig. Als das Auto gegen den Felsen schleuderte und um die Hälfte seiner Länge zusammengequetscht wurde, wirkte eine so starke Fliehkraft auf die Insassen ein, daß sie nicht zur Seite getrieben wurden, sondern in der Fahrtrichtung nach vorn! Das ist ein simples Gesetz … man lernt es in der Physik bereits in der Quarta.
Wie hatte sich Bob retten können? Nach den logischen Gesetzen mußte sein Kopf an den Felsen kleben.
Hellmut Hansen legte die Zeitungen weg, als er Bob aus dem Lift treten sah. Er war allein, Pia Cocconi mußte schon früher das Hotel verlassen haben oder wartete noch oben im Apartment 512.
Bob Barreis trug einen rosenholzfarbenen Tweedanzug mit weißen Streifen. Eine weiße Krawatte auf dunkelrotem Hemd leuchtete unter seinem Kinn wie eine gefangene Taube. Auf seinem braunen, mahagonischimmernden Haar lag der Glanz der Morgensonne. Er war ein schöner Mann … nicht interessant, nicht männlich, nicht abenteuerlich, nicht eine Duftwolke der großen, weiten Welt … nein, er war einfach schön.
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