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Ein Mann wie ein Erdbeben

Ein Mann wie ein Erdbeben

Titel: Ein Mann wie ein Erdbeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Weiter nichts. Ein erwachsener Botticelli-Engel. Eine männliche Mona Lisa.
    »Was sagt Onkel Theo?« fragte Bob ohne Umschweife und ließ sich neben Hellmut auf das Ledersofa fallen.
    »Er macht sich Sorgen.« Hansen musterte seinen Jugendfreund wie ein Heilpraktiker bei der Augendiagnose. »Die Familie ist mal wieder in Stellung gegangen. Alle Visiere sind runter, die Lanzen gefällt. Wer uns angreift, wird eine Festung finden! Bob –« Hellmut Hansen beugte sich zu ihm vor. – »Spiel nicht den dicken Otto. Wenn du ein Problem hast, sag es. Wir werden versuchen, dir wie immer zu helfen.«
    Das Lächeln auf Bobs Gesicht gefror. »Ich habe kein Problem«, sagte er steif.
    »Lutz Adams.«
    »Ich habe alles bei der Polizei ausgesagt. Die Zeitungen sind voll davon.«
    »Alles?«
    »Ja.«
    »Du bist aus dem Wagen geschleudert worden?«
    »Natürlich.«
    »Entgegen der Fliehkraft?«
    »Vielleicht stimmt die Physik bei Rallyes nicht mehr –«
    »Bob, rede nicht solchen Quatsch.«
    »Was wollt ihr denn noch?« Bob sprang auf. »Ich habe Onkel Theo gebeten, sich um Lutz und den ganzen Kram zu kümmern, aber nicht, mir ein Kindermädchen zu schicken. Ja, verdammt, ich bin entgegen der Fliehkraft aus dem Wagen gefallen, habe versucht, Lutz zu retten, bis mir selbst die Hände brannten –« Er streckte seine verbundenen Arme vor. Die Brandsalbe roch süßlich, wie Verwesung. »Ich habe alles getan, was man in dieser Situation tun kann. Ich bin kein Übermensch.«
    »Gut. Schwamm drüber.« Hansen trank den erkalteten Mokka aus. »Ich soll dich nach Hause fliegen.«
    »Danke. Ich werde morgen nach Nizza gebracht und kaufe mir dort einen Wagen. Mit ihm fahre ich nach Vredenhausen.«
    »Mit diesen Händen?«
    »Es kann vierzehn Tage dauern.«
    »Deine Mutter wird kein Verständnis dafür haben.«
    »Meine Mutter! Meine Mutter! Bin ich noch ein Säugling?! Deine Mutter sagt, deine Mutter wünscht, deine Mutter weint, deine Mutter klagt, deine Mutter … Mutter, Butter, Futter, Luther … verdammt, bleibt mir vom Hals mit meiner Mutter! Ihr kotzt mich alle an. Alle! Auch du! Warum hast du mich damals nicht im Teich ersaufen lassen?! Das arme Jüngelchen, oh, er wird frieren, packt ihn warm ein, das Mützchen tiefer, o Gott, o Gott, das Näslein ist ja rot … gleich wird er husten … Einen Doktor, schnell einen Doktor, schnell einen Doktor. Wo ist der Doktor? Doktor!! Eia popeia, wie geht es dir, geht es dir gut? Hören Sie nur, Doktor, wie er beim Atmen rasselt. O Gott, o Gott … er ist mein einziges Kind –« Bob Barreis stampfte mit dem Fuß auf. Sein schönes Gesicht zerfloß und erhielt fratzenhafte Züge. »Ich komme nach Hause, wann ich will. Ich fahre mit dem Auto, das ich will! Ich werde leben, wie es mir paßt! Ist das klar, Hellmut?«
    »Vollkommen klar.« Hansen stand auf und hielt Bob eine Zigarettenpackung entgegen. »Rauch erst mal eine. Dann trinken wir einen Kognak und gehen spazieren. Nein, erst frühstücke ich. Ich bin leer wie ein alter Schuhkarton.«
    Bob Barreis schielte zu seinem Freund und nickte schweigend. Die Erregung in ihm klang ab. Dafür quoll etwas anderes in ihm auf wie ein Kloß.
    Um sieben Uhr früh hatte bei ihm das Telefon geklingelt. Er wälzte sich aus den Armen Pias und vernahm eine rauhe Männerstimme. »Hier ist Gaston Brillier«, sagte der Mann ins Telefon. »Ich bin Bauer und wohne in Ludon. Ich habe gesehen, Monsieur, wie Ihr Wagen verunglückte. Drei Serpentinen über Ihnen war ich, als es passierte. Ich konnte Ihnen nicht helfen. Ich bin ein alter Mann von neunundsechzig Jahren und schlecht auf den Beinen. Aber ich habe gute Augen. Warum haben Sie Ihrem Freund nicht geholfen, Monsieur? Sie waren kein guter Kamerad. Sie standen vor dem Feuer und regten sich nicht. Haben Sie mich nicht rufen hören?«
    »Nein.« Bobs Kehle dörrte aus wie in einem Wüstenwind. »Waren Sie es, der die Feuerwehr von Briançon alarmiert hat?«
    »Ja. Ich bin ins Dorf zurückgelaufen.« Die rauhe Stimme hüstelte und schnaufte. Er hat Asthma, dachte Bob völlig widersinnig. »Monsieur, was der Rundfunk brachte, war doch eine falsche Darstellung. Sie haben nichts für die Rettung Ihres Kameraden getan –«
    Bob Barreis legte schweigend auf. Er warf sich zurück ins Bett, legte die rechte Hand auf Pias Brust und krallte die linke in die Matratze. Der Morgen kroch fahl über den Balkon ins Zimmer. Das Erwachen der Erde. Das Gähnen der Welt. Die kurze Spanne bis zum Durchbruch der Sonne. Die

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