Ein Mann wie ein Erdbeben
Worten jongliert. Da ist etwas oberfaul!«
»Du magst den Jungen nicht – das ist alles!« Es war ein Vorwurf, den Haferkamp zu seinen täglichen Pflichtübungen zählte. Er sagte deshalb auch immer das gleiche zur Entgegnung.
»Natürlich mag ich ihn nicht. Ich habe sein Vermögen ja auch nur um fünfzig Millionen vermehrt und die Fabrik von dreitausend auf fünftausend Arbeiter erweitert. So etwas macht man nur aus Mißachtung!« Er ging vor dem großen Marmorkamin hin und her, wanderte im Zimmer herum und blieb ab und zu vor einer der hohen Fenstertüren stehen, die hinaus auf die Terrasse und in den Park führten. Ein Springbrunnen, jetzt im Winter abgestellt, zauberte einen Hauch von Versailles und verspielter Eleganz in den sonst nüchternen englischen Rasen. »Ich habe Hellmut nach Monte Carlo beordert.« Haferkamp sagte es so, als berichte er über ein Exportgeschäft.
»Warum?« Mathilde Barreis drückte das tränenfeuchte Taschentuch gegen ihr Kinn. »Warum Hellmut? Du hättest den besten Arzt in Monte Carlo anrufen sollen. Wozu haben die Werke ein Flugzeug? Warum fliegt keiner an die Riviera und holt Bob zurück? Vielleicht muß er in eine Spezialklinik?«
»Blödsinn. Er wird bloß in den nächsten Wochen keinem die Hand drücken können.«
»Er ist amputiert?« schrie Mathilde auf.
»Meinst du, eine Hand wächst in sechs Wochen nach?« Er tippte sich an die Stirn. Die Umgangssprache zwischen Schwester und Bruder ist immer etwas salopp, auch wenn man Barreis heißt und Millionär ist. »Er hat sich die Hände verbrannt … und hoffentlich nur in den Flammen!«
»Die Hände! O Gott, seine schönen, gepflegten Hände.« Mathilde sprang auf und stützte sich auf die Marmorverzierung des Kamins. »Er muß sofort zu einem Spezialisten.«
»Er muß erst einmal zurück nach Vredenhausen. Und er muß das Begräbnis von Lutz Adams durchstehen.« Theo Haferkamp schlug mit der Faust an die eichenvertäfelte Wand. »Dann drehe ich ihn durch die Mangel! Keine Sorge – kein Wort wird aus diesen Mauern dringen. Die Familie Barreis ist weiß wie der beste Weißmacher. Aber manchmal kotzt es mich an, Schwesterchen. Manchmal träume ich, ein ganzer Berg fällt auf mich herunter, und auf der Kuppe weht eine Fahne mit dem Namen Barreis. Und während die ganze Welt zugrunde geht – die Fahne weht weiter! Was soll eigentlich aus Bob einmal werden?«
»Ich denke, er soll die Fabrik übernehmen.«
»Mit welchen Kenntnissen? Wir stellen elektronische Relais her. Automaten, Kleinroboter, wenn du willst. Maschinen, die denken. Was aber hat Bob gelernt? Wie man eine Frau auszieht, das beherrscht er. Wie man sie später wieder abwimmelt, das kann er. Zugegeben, das hat er bis zur Perfektion entwickelt. Welch ein Glück, daß er beim besten Willen nicht soviel Geld hinauswerfen kann, wie er Zinsen bekommt. Hier spielt das Schicksal sogar mit. Aber wo stecken sonst seine Fähigkeiten? Im Autofahren? Im Cocktailmischen? Im Skilaufen? Im Protzen mit seiner Potenz? Das ist eine falsche Begabung! Er müßte schon König sein, um allein mit seinem Penis zu regieren!«
»Ich höre deinen ordinären Reden nicht mehr länger zu.« Mathilde Barreis ging mit hocherhobenem Haupt, eine Personifizierung des Beleidigtseins, zur Tür. Aber bevor sie den Salon verließ, sprach sie über die Schulter noch einmal mit Haferkamp.
»Was hast du also unternommen?«
»Hellmut Hansen fliegt nach Monte Carlo.«
»Und du meinst, das genügt?«
»Vollauf. Ich möchte wetten, daß Bobs verbrannte Hände kein Hindernis sind, Weiber auszuziehen.«
Wie man auch über Onkel Theodor Haferkamp denken mochte – bei seinem Neffen war er nicht mit Blindheit geschlagen. Und niemand wußte, daß er manchmal allein in seiner großen Junggesellen-Villa saß, in die Flammen des offenen Kamins starrte und zu sich sagte:
»Diese verdammte Barreis-Familie. Habe ich das nötig?«
Er hatte es nötig … denn er war ein Stück von ihr.
Hellmut Hansen landete in Nizza am frühen Morgen und fuhr sofort mit einem Mietwagen weiter nach Monte Carlo. Die Schönheit des in der Morgensonne träumenden, silbern glänzenden Meeres, die vom Morgenrot überhauchten Kuppen der Küstenberge, die lila Schatten zwischen den Häusern, die blinkenden Kieselfelder am Ufer und die rosa getönten Gischtwolken an den Klippen erreichten nicht sein Bewußtsein. Das Telegramm Onkel Haferkamps war zehn Minuten nach den zweiten Nachrichten in Aachen eingetroffen. Das Fernsehen brachte
Weitere Kostenlose Bücher