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Ein Mann wie ein Erdbeben

Ein Mann wie ein Erdbeben

Titel: Ein Mann wie ein Erdbeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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an der Brücke, pendelte über der Autobahn, Blut rann aus der Nase über Mund und Kinn, das rechte Auge schwoll zu, aber mit dem linken sah sie Bob fast forschend an und blickte auf einen Menschen, der jetzt zu lachen begann, der auf ihre Finger trat, mit dem Absatz immer wieder und wieder, auf diese kleinen Finger, die sich um das Geländer schlossen, Finger, die ihn einmal gestreichelt hatten, die Ball mit ihm spielten, ihn fütterten, als er krank im Bett lag, ihm bei den Schularbeiten halfen, ihn das Schwimmen lehrten, ihm heimlich Geld zusteckten, wenn Onkel Theodor ihm keins mehr gab … auf diese Finger, die er so gut kannte, die ihn geleitet hatten bis zu dieser Autobahnbrücke in der Nacht, trat er mit aller Wucht und lachte dabei, ließ den Schweiß über sein Gesicht perlen und empfand eine Lust, die ihn schier zerreißen wollte.
    »Bob …«
    Ihre Stimme. Er beugte sich zu ihr hinunter, über das eiserne Geländer, beide Schuhe auf ihren Händen.
    »Renatchen …«
    »Jetzt weiß ich, daß ich einen Teufel großgezogen habe.«
    »Dann segne mich und grüß den Himmel von mir!«
    Er zielte genau, trat auf ihre Fingerspitzen und wußte, daß dieser Tritt nicht mehr aufzufangen war. Die Hände rutschten ab … und da war er, der Schrei, der helle, spitze Aufschrei, Gipfel aller Lust, Explosion in seinem Hirn … er sah, wie Renate Peters mit ausgebreiteten Armen in die Tiefe stürzte und auf der linken Fahrbahn aufschlug.
    Mit aufheulenden Bremsen stoppten die Wagen, rutschten seitlich weg, bohrten sich in den Hang oder streiften mit kreischendem Blech die Leitplanken. Ihre Scheinwerfer zuckten über den Körper. Er lag mit dem Gesicht nach unten.
    Ihre schönen Brüste, dachte Bob Barreis. Sie werden zerplatzt sein. Ich hätte sie vorher küssen sollen …
    Taumelnd rannte er zurück zu seinem Wagen, warf sich hinter das Steuer, fuhr ihn unbeleuchtet von der Brücke ein ganzes Stück über die Landstraße, bis er die Lichter der Autobahn nicht mehr sah, nur den fahlen Schimmer im Schwarz des Nachthimmels. Erst dann schaltete er seine Lampen ein und raste der Chaussee zu.
    An einer Einbuchtung – einer Omnibushaltestelle mit der gelben Stationssäule und dem Blechkasten mit dem Fahrplan daran – hielt er an, steckte sich eine Zigarette zwischen die bebenden Lippen und inhalierte tief die ersten Züge. Das fürchterliche, lustvolle Kribbeln war vorbei … und je mehr es abflaute, um so schrecklicher kehrte die Wahrheit in ihn zurück.
    Erst am Ende der Zigarette begriff er voll, was er getan hatte. Er beugte sich aus dem Fenster, spuckte die Zigarette aus, sein Magen revoltierte, er kotzte am Lack der Autotür hinunter auf die Erde und fiel dann kraftlos in die Polster zurück. Als wolle er seinen Kopf aufreißen, zerrte er an seinen Haaren, umfaßte seinen Kopf, drückte ihn und stöhnte und wunderte sich, daß er sich nicht auspressen ließ wie eine Zitrone, sondern daß alles in ihm blieb. Jetzt, nachdem alles geschehen war, wurde ihm kalt aus Angst vor dem eigenen Ich.
    Wohin, dachte er. Wohin jetzt? Nicht nach Hause … dort könnte man ihn fragen: Hast du Renate nicht gesehen? Das würde ihn umwerfen, das könnte er nicht ertragen. Aber hier, auf der Chaussee, an einem Omnibushalteplatz, konnte er auch nicht bleiben. Er steckte den Kopf wieder durch das offene Fenster. Das Martinshorn eines Unfallwagens … weit weg, nur ein Hauch von Laut. Oder war es eine Sinnestäuschung? Natürlich war jetzt auf der Autobahn der Teufel los. Zeugen gab es genug … sie hatten die Frauengestalt an der Brücke hängen sehen, und plötzlich fiel sie hinunter. Aber wer jenseits des Geländers war, diesen Schatten im Dunkel, hatte niemand bemerkt, konnte man nicht bemerken … oder doch? Hatte er sich nicht über das Geländer gebeugt, den Flug in den Tod angestarrt, diesen fast eleganten Fall mit ausgebreiteten Armen, ein fliegender Mensch?
    Bob Barreis kurbelte das Fenster hoch, ließ den Motor wieder an und fuhr auf die Chaussee zurück.
    Nach Essen – das war eine Lösung. Natürlich, das war das einzig Richtige. Zu Marion Cimbal ins Bett, in ihren Armen einschlafen, in die Weichheit ihres Körpers hineinkriechen und alles vergessen, ihren Geruch nach frischen Orangen einatmen und glücklich sein. Eine Insel ohne Probleme, ohne Fragen, ohne in die Haut des Helden schlüpfen zu müssen. Ein Bett wie auf einem anderen Stern.
    O Gott, Teufel und Marion … wie hasse ich mich selbst –
    Nach einer Stunde rasender

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