Ein Mann wie Mr Darcy
über der Plastiktischdecke aus und drücke ihre Hand. Ohne jeden Zweifel hat Maeve ihrem Bruder verziehen, was vor all den Jahren geschehen ist. Doch es ist eine Schande, dass sie so lange gebraucht hat, bis sie sich selbst vergeben konnte.
»Also, was wollte sie? Diese Shannon?«, frage ich neugierig.
»Sie sagte, die Maeve, nach der sie suche, müsse Ende 50 sein, und ob er, falls er diese Frau kenne, ihr ausrichten würde, dass Shannon O’Toole gern Kontakt mit ihr aufnehmen würde.«
Wir wechseln einen Blick.
»Und da war noch etwas«, fährt Maeve leise fort.
Mir wird ganz eng um die Brust. Ich wage nicht nachzufragen.
»Sie hat gesagt, es sei sehr wichtig, mir auszurichten, dass ihr zweiter Vorname Orla laute. Und dass dies der Name sei, den sie unmittelbar nach der Geburt bekommen hätte.«
Einen Moment lang sagt keine von uns etwas. Ich betrachte Maeves Gesicht. Ihre weit aufgerissenen, hellblauen Augen hinter den Brillengläsern. Ihre feinen, zarten Gesichtszüge, auf denen das Alter mittlerweile seine Spuren hinterlassen hat. Ich kann mir nicht vorstellen, welch ungeheure Bedeutung diese Nachricht für sie haben muss.
»Es ist meine Tochter, Emily. Es ist meine Tochter, die nach mir sucht«, flüstert sie schließlich.
Nachdem ich auf das Schlimmste gefasst war, durchflutet mich eine Welle der Erleichterung.
»Sind Sie sicher?«, frage ich, ängstlich und zugleich begeistert. »Ich meine, ich will nicht, dass Sie sich allzu große Hoffnungen machen. Es könnte ein Missverständnis sein …«
»Ich habe mit ihr gesprochen.«
Zack! Aus heiterem Himmel. Einfach so.
»Sie haben was?«
»Ich habe mit ihr gesprochen. Sie hat eine Nummer hinterlassen, und ich habe sie angerufen.«
Ich registriere, dass meine Augen groß wie Suppenteller werden. Dabei erstaunt mich weniger die Tatsache, dass Maeve mit ihr gesprochen hat, sondern vielmehr, dass sie die Initiative ergriffen hat. So entschlossen. So ohne jede Angst. Die alte Maeve hätte niemals den Hörer in die Hand genommen. Die Schuld hätte viel zu schwer auf ihren Schultern gelastet, die Angst sie gelähmt.
»Und?« Mehr bekomme ich nicht heraus.
»Sie hörte sich nett an, Emily«, erwidert Maeve leise, doch ich höre die Erleichterung und den Stolz in ihrer Stimme. »Sie ist Sozialarbeiterin und lebt mit ihrem Mann Richard in Birmingham. Sie hat gesagt, sie hätte immer an mich denken müssen. Sie hätte mich schon seit langem finden wollen, es aber nie richtig gefunden, ihre Adoptivmutter nach mir zu fragen. Aus Rücksicht auf ihre Gefühle. Aber nach ihrem Tod hat sie Kontakt zu einer Agentur aufgenommen, die Adoptivkindern hilft, die leiblichen Eltern ausfindig zu machen. Offenbar haben sie mich sofort gefunden, doch dann sind ihr Zweifel gekommen. Was, wenn ich sie zurückweisen würde? Wenn ich jetzt ein neues Leben hätte, mit anderen, eigenen Kindern? Was, wenn ich mich ihrer schämen würde und ihre Existenz geheim halten wollte?« Maeve sieht mich ungläubig an, als könne sie selbst nicht glauben, dass jemand so etwas auch nur denken könnte.
»Sie hatte meine Adresse über ein Jahr in einer Schublade liegen, als sie gehört hat, dass jemand nach der Tochter einer gewissen Maeve Tumpane sucht. Diesen Teil habe ich nicht ganz verstanden -« Sie unterbricht sich und schüttelt den Kopf. »Vielleicht habe ich es auch nur falsch verstanden. Keine Ahnung, ich erinnere mich nicht genau. Ich war so überwältigt, Emily, dass ich gar nicht alles mitbekommen habe.«
»Oh, Maeve, ich freue mich so für Sie -«, flüstere ich.
Während ihrer Schilderung haben sich meine Befürchtungen allmählich verflüchtigt und sind so etwas wie vorsichtiger Erregung gewichen.
»Mir ist klar, dass es nicht leicht werden wird«, fährt Maeve fort. »Ich erwarte nicht, dass wir plötzlich wie Mutter und Tochter sind. Ich meine, sie hatte 35 Jahre lang eine Mutter, ich will sie auch gar nicht ersetzen, aber ich hoffe, wir können uns kennen lernen, Freundinnen werden.«
Sie sagt das so bescheiden, so voller Hoffnung, dass es mir beinahe das Herz bricht. »Ich bin sicher, das werdet ihr«, ermutige ich sie.
»Und wissen Sie, was das Beste ist? Als ich ihr gestanden habe, dass ich mir all die Jahre Vorwürfe gemacht habe, weil ich sie weggegeben habe, hat sie gesagt, dass sie mir dankbar sein müsse. Dafür, dass ich sie geboren und dann dieses höchste Opfer gebracht habe, das es ihr ermöglicht hat, von einem wunderbaren Ehepaar adoptiert zu werden, das
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