Ein Mann wie Mr Darcy
das kaum überraschend‹, will ich sagen, verkneife es mir aber selbstverständlich. Dies hier ist Roses großer Augenblick, und sie genießt ihn in vollen Zügen. Ehrlich gesagt, habe ich sie während der ganzen Reise noch nicht so glücklich gesehen. Um keinen Preis möchte ich ihr das kaputt machen, indem ich sie auf den Boden der Realität zurückhole.
»Ja, finde ich auch«, antworte ich und drehe mich augenzwinkernd zu Rose um.
Sie strahlt übers ganze Gesicht. »Perfekt. Dann lassen wir es so, wie es ist, ja?«, verkündet sie und wendet sich dem Hoteldirektor zu.
Erleichterung breitet sich auf seinem schiefen Gesicht aus.
»Und Sie, Mr. Geoffries -«
Oh nein, was denn jetzt noch?, jagt über seine Gesichtszüge.
Sie packt den verblüfften kleinen Mann bei den Schultern und drückt ihm einen dicken Kuss auf die Wange. »Sie sind einfach großartig!«
Roses Foto sorgt für einen Menschenauflauf. Ich glaube, bis zu diesem Moment haben die meisten Damen Rose insgeheim für eine Angeberin und ihre Erzählungen von ihrer »berühmten Schönheit« und ihrem »überragenden Können« für eine ziemliche Übertreibung gehalten. Doch nun, da Erinnerungen wachgerufen werden und der Beweis unbestreitbar an der Wand hängt, kann Rose sich vor Bewunderung und Fragen kaum retten.
»Ooh, haben Sie mit Sir John Gielgud gespielt?«
»Ich dachte mir doch, dass ich Sie kenne! Ich habe Sie 1955 im Old Vic auf der Bühne gesehen …«
»Rose Raphael? Sie sind die Rose Raphael?«
»Erzählen Sie doch mal.Wie war Judi denn so?«
Rose ist natürlich höchst erfreut. Während sie wie ein routinierter Politiker Fragen beantwortet, scheint sie aufzuleben und unterhält die begierige Zuhörerschaft mit Anekdoten aus ihrer Theaterzeit. Miss Staene muss all ihre Fähigkeiten als Reiseleiterin aufbieten, um die Menge loszueisen und ihre Schäfchen aus der Rezeption in den wartenden Bus zu treiben.
Ich trödele hinterher. Die Vorstellung, Ernie nach allem, was passiert ist, wiederzusehen, ist nicht gerade verlockend. Nach diesen ganzen erfundenen Geschichten, die er mir erzählt hat, all diesen Lügen über Spike … was soll ich nur zu ihm sagen? Soll ich überhaupt etwas sagen? Soll ich ihn ignorieren? Oder ihn damit konfrontieren? Was?
Ich gehe auf dem Parkplatz auf und ab und spiele im Geiste verschiedene Szenarien durch: Ernies Reaktion, wenn ich ihn mit den Zeitungsausschnitten konfrontiere. Er wird ärgerlich, wütend – ›Verdammt, was passiert, wenn er gewalttätig wird?‹, schießt es mir plötzlich durch den Kopf. Mag sein, dass er ein alter Mann ist, aber mit diesen Fäusten könnte er immer noch ordentlich austeilen. Als Nächstes stelle ich mir vor, wie wir beide so tun, als sei nichts passiert.Wie wir einander freundlich grüßen und doch einen wortlosen Blick wechseln, der erkennen lässt, dass er weiß, dass ich es weiß.
Doch was immer auch passieren wird, ich kann es nicht länger aufschieben. Ich bin die Letzte, die einsteigt, und als ich die Stufen erklimme, wappne ich mich für die Konfrontation. Bleib ruhig, Emily, behalt die Nerven, mach keine Szene vor allen anderen. Ich erreiche die oberste Stufe. Hilary steht vor mir, sodass ich nur eine Schirmmütze erkennen kann. Okay, ich habe eine Entscheidung getroffen. Ich sage ihm nur, dass ich ihn allein sprechen muss, dass es da etwas gibt, worüber wir reden müssen, dass -
Moment mal!
»Sie sind ja gar nicht Ernie«, platze ich verwirrt heraus.
Die jungenhafte Gestalt mit der Schirmmütze dreht sich zu mir um. »Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, war ich’s jedenfalls nicht«, witzelt er grinsend.
Ich starre ihn mit ausdrucksloser Miene an. Er hat ein Ziegenbärtchen und Pickel und sieht aus, als wäre er höchstens 21. Nein, er ist definitiv nicht Ernie.
Ich lache verlegen. »Es ist nur, dass wir … vorher einen anderen Fahrer hatten«, stammle ich, während ich versuche, meine Fassung wieder zu gewinnen, doch mir schwirren tausend Fragen im Kopf herum. Wo ist Ernie? Ist er gefeuert worden? Hat er gekündigt? Was ist passiert?
»Stimmt, das habe ich gehört«, erwidert der neue Fahrer nickend. »Ich sollte einspringen. Er musste überraschend weg, es gab ein Problem …«
»Was für ein Problem?«
»Keine Ahnung«, sagt er achselzuckend. »Mir sagt ja sowieso keiner was.«
»Wenn Sie nun bitte alle Ihre Plätze einnehmen würden«, fordert uns Miss Staene auf, die mit dem Klemmbrett in der Hand den Gang entlangmarschiert. »Sie auch,
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