Ein Mann wie Mr Darcy
Weile die Augen schließen.
Während der Jetlag wie eine Welle über mich hinwegspült, blicke ich mich benommen im Raum um. Es gibt einen Holzstuhl, aber es ist der, auf dem Jane Austen zu sitzen pflegte, wenn sie schrieb, und er ist durch ein Absperrseil abgetrennt. Natürlich kann ich mich hier nicht hinsetzen. Ich weiß zwar nicht, ob es der Originalstuhl ist, aber er sieht zumindest aus wie eine Antiquität. Er muss ungefähr 200 Jahre alt sein.
Andererseits bin ich so unglaublich erschöpft.
Ich beäuge ihn einen Moment lang. Ich war noch nie der Typ, der sich einfach über Regeln hinwegsetzt, andererseits ist niemand außer mir hier, und es wäre auch nur für ein paar Minuten. Ich meine, es würde doch nichts passieren, außerdem wäre ich ganz vorsichtig …
Ich steige über das Absperrseil und lasse mich auf den Holzstuhl sinken. Ahhh, schon besser. Dankbar lehne ich mich zurück. In meinem Kopf hallen die Worte unserer Reiseleiterin wider: »... dort am Fenster steht der Originaltisch, an dem sie Stolz und Vorurteil überarbeitet und jenen Mr. Darcy geschaffen hat, den wir heute kennen und lieben.«
Ich blicke auf den kleinen, glänzenden Holztisch vor mir. An der Ecke steht ein Tintenfässchen mit einem Federkiel darin. Natürlich darf man ihn nicht berühren. Man darf überhaupt keines der Ausstellungsstücke berühren, wie die überall angebrachten Schilder unmissverständlich klar machen. Ich würde wirklich Ärger bekommen.
Andererseits verführt einen nichts mehr, etwas anzufassen, als ein Schild, auf dem »Nicht berühren« steht.
Ich nehme den Federkiel in die Hand. Falls ich erwartet hatte, dass irgendetwas Gruseliges passiert, werde ich enttäuscht. Einen Moment lang halte ich ihn einfach zwischen meinen Fingern, um ein Gefühl dafür zu bekommen.Wahrscheinlich ist es sowieso nur eine Replik, aber selbst in diesem Fall ist ein faszinierender Gedanke, dass Jane Austen mit einem solchen Werkzeug ein ganzes Buch geschrieben hat. Ich meine, können Sie sich das vorstellen? Ein ganzes Buch?
Ich betrachte das Tintenfässchen, als mir ein Gedanke kommt. Es ist absolut untypisch für mich, so etwas überhaupt zu denken, ich schwöre, aber wie cool wäre es, etwas zu schreiben? Egal was. Und wenn es einfach nur mein Name wäre. Aber natürlich darf ich das nicht.
Und natürlich werde ich das tun.
Vorsichtig tauche ich die Spitze ein, nehme die Rückseite des Blatt Papiers, das in meinem Flyer lag, und drücke den Federkiel vorsichtig auf die leere Seite. Emily, schreibe ich, ehe ich mit kleinen, kratzigen Zügen Mr. Darcy hinzufüge. Ein verlegenes Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus. Sieh sich das einer an. Als wäre ich 13 und wieder in der Schule. Emily Darcy, Mr. & Mrs. Darcy kritzle ich aus Spaß, ehe ich die Worte mit einem kleinen Herz und zwei Pfeilen ausschmücke.
Mein Lächeln schlägt in ein herzhaftes Gähnen um. Mann, ich bin hundemüde. Ich lege den Federkiel beiseite und reibe mir die tränenden Augen. Es fühlt sich an, als lägen Bleigewichte auf meinen Augenlidern. Die Wellen des Jetlag spülen nun immer schneller und heftiger über mich hinweg. Ich muss die Augen schließen. Nur für einen Moment …
»Ähm.«
Ich muss eingenickt sein, denn mit einem Mal lässt mich ein Husten aufschrecken. Ich öffne die Augen und erblicke einen Mann, der vor dem Kamin steht. Er ist groß und kräftig, mit dichtem schwarzem Haar, das sich über seinem Kragen lockt, und neugierig zusammengezogenen schwarzen Augenbrauen. »Hallo, kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Äh …?« Schlaftrunken setze ich mich auf und blinzele verwirrt. Wo bin ich?
Dann trifft es mich wie ein Schlag.Verdammt!
Abrupt springe ich vom Stuhl auf.Verdammt, verdammt, verdammt! Das musste ja so kommen. Einschlafen und auch noch erwischt werden! »Ich … äh …« In diesem Moment bemerke ich, dass ich auf mein Kinn gesabbert habe. Oh Gott, wie peinlich. Mit vor Scham glühenden Wangen wische ich mir mit dem Ärmel übers Kinn.
»Tut mir leid … ich … äh … habe mich nur kurz ausgeruht …« Unsicher verstumme ich, als der Fremde den Raum durchquert und mir auffällt, wie seltsam er gekleidet ist. Er trägt einen Gehrock, Reithosen und ein weißes Hemd mit diesem seltsamen, hohen Kragen und eine Art Krawatte. Ich spähe auf seine Füße. Und was sollen die Reitstiefel?
Verwirrt schaue ich ihn an, während er zielstrebig um den großen Esstisch in der Mitte des Zimmers herumgeht. Wie merkwürdig. Er ist
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