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Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Wagen gelassen hast!«
    »Mein Wagen ist weg«, flüsterte der Junge, schneeweiß, mit zitternden Lippen.
    »Na, weißt du!« sagte Herr Beese mit einem langen Blick. »Und was mach ich mit den Koffern?«
    »Warten Sie! Er muß ja hier irgendwo stehen!« sagte Siebrecht verzweifelt. »Vielleicht sind die Pferde einen Schritt weitergegangen! Aber ich hatte das Sattelpferd abgesträngt!«
    Und er lief los. Er lief in alle Seitenstraßen, in die Chauseestraße, in die Friedrichstraße, in die Tieckstraße, in die Schlegelstraße, in die Novalisstraße, in die Brunnenstraße, in die Invalidenstraße, er suchte seinen Wagen. Er lief und er lief – Angst hatte ihn gepackt. Sein Wagen! Wagenseils Wagen! Als er wieder am Bahnhof vorüberkam, sah er nach der Westseite. Da standen die Karren der Dienstmänner. Die Dienstmänner saßen auf ihnen oder standen dabei und schwatzten gemütlich miteinander in der Sonne, auf den nächsten Fernzug wartend. Aber die Kofferberge des Ausländern waren verschwunden! Mein Wagen!
    Und weiter lief er …
    Plötzlich blieb er stehen. Ein Gedanke war ihm gekommen. Er hatte über seinen bösesten Feind nachgedacht, und dabei war ihm eingefallen, wo der Wagen stehen konnte! Wo der Wagen stehen mußte, wenn er den Feind richtig erraten hatte! Er ging am Stettiner Bahnhof vorüber, er ging die Invalidenstraße hinunter, und seitlich vom Neuen Tor, genau an der Stelle, wo er es erwartet hatte, stand sein Wagen – am Neuen Tor! Siebrecht ging um den Wagen herum. Das Sattelpferd war abgesträngt, die Pferde spielten friedlich in derSonne mit den Schweifen. Den Pferden war nichts geschehen. Dem Wagen war nichts geschehen. Doch, eines: das Schild von der Berliner Gepäckbeförderung war mit Dreck beschmiert, mit einem Dreck, den man auch anders nennen kann. Der Junge verzog den Mund. Das also waren seine Gegner, höher als zu Scheiße verstiegen sie sich nicht. Er holte von der Pumpe im Tränkeimer Wasser und wusch das Schild sauber. Dann setzte er sich auf den Wagen und fuhr stolz zum Stettiner Bahnhof zurück. Es war ihm, als habe er einen Sieg errungen.
    Wieder hielt er am Stettiner. Die Züge kamen und gingen, die Stunden verrannen, und nichts geschah. Die Dienstmänner saßen in der Sonne und schwatzten miteinander, die Leute schwatzen, die sich schon seit vielen Jahren kennen und einander nicht viel Neues mehr erzählen können. Dann kamen die Reisenden, und die Dienstmänner zerstreuten sich, noch klapperten ihre Karren über das Kopfsteinpflaster am Bahnhof, und nun war alles still. Der Dienstmann aber, nach dem Karl Siebrecht Ausschau gehalten hatte, der hatte sich nicht blicken lassen.
    Der Junge hatte seine Pferde aus dem Futtersack gefüttert und aus dem Stalleimer getränkt, sich selber aber in der nahen Bierquelle von Aschinger zu füttern und zu tränken, das hatte er nicht gewagt. Er wohnte ja nun wieder bei der Brommen, nicht einmal Frühstücksbrote hatte er in der Tasche, und gegen zwei, drei Uhr nachmittags wurde sein Hunger fast unerträglich. Er stellte sich deutlich Würstchen mit Kartoffelsalat oder italienischen Salat mit Brötchen vor, und das Wasser lief ihm im Munde zusammen. Da faßte er in die Tasche nach dem bißchen Geld, das er besaß, und sagte sich immer wieder: Das spart! Ich habe kein Geld, um es aufzuessen. Und schließlich vergaß er seinen Hunger über dem Warten. Einmal kam auch der Gepäckträger Beese für einen Augenblick zu ihm. Er betrachtete den Jungen, der da vor seinem leeren Rollwagen stand, schweigend, und Karl Siebrecht hatte auch keine große Lust, ihn anzusprechen. Schließlich fragte dertraurige Pfeifenkopf nach dem, was er vor Augen hatte. »Na, hast du dein Gespann wieder?« fragte er.
    »Ja«, antwortete Karl Siebrecht.
    »Wo war’s denn?«
    »Am Neuen Tor. Da, wo ich mit dem Kiesow Krach hatte.«
    »Gott schuf Menschen«, sagte der Gepäckträger, »sie waren aber auch danach …«
    »Der Ausländer?« fragte Karl Siebrecht.
    »Ab mit dem Schnellzug zwölf Uhr fünfzig nach Garmisch, ja, Junge, es tut mir gewissermaßen leid.«
    »Sie können nichts dafür, Herr Beese, ich weiß.«
    »Ich habe auch mit ein paar Kollegen geredet. Sie sind nicht dagegen, sie sagen bloß, erst mußt du dein Kram in Ordnung haben.«
    »Ich habe mein Kram schon in Ordnung, Herr Beese. Bloß gegen die Gemeinheit von anderen kann man nichts machen.«
    »Eben! Was ich sage. Erst mußt du mit den Rotmützen glatt sein. – Na denn!«
    »Na denn, Herr Beese!«
    Und

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