Ein Mann will nach oben
stöckerigen Beinen herbeigewackelt und betrachteteseinen ehemaligen Karrengefährten neugierig aus vorstehenden Greisenaugen, die ganz voller roter Äderchen waren.
»Na, Opa, das Leben noch frisch?« fragte Karl zurück. Er hatte einen raschen Blick zu den Dienstmännern hinübergeworfen und gesehen, daß sie alle den alten Küraß gespannt beobachteten. Er war also vorgeschickt worden mit irgendeinem bestimmten Zweck und mit keinem guten. Kalli Flau war nirgends zu sehen.
»Wie lange willste denn den Quatsch noch machen?« fragte der Opa.
»Welchen Quatsch wohl, Opa?«
»Den Quatsch mit den Pferden doch.«
»Pferde sind doch kein Quatsch, Opa.« Karl Siebrecht stellte sich völlig verständnislos. »Pferde sind doch Pferde.«
»Du weeßt schon jut, wat ick will, Karle«, sagte der Opa gekränkt.
»Keine Ahnung! Aber erzähl mir mal, Opa, was die dir aufgetragen haben. Kalli wird schön schimpfen, wenn er sieht, daß du dich von denen schicken läßt.«
»Ick laß mir von keenem schicken. Und Kalli kann mir jar nischt sagen.«
Aber der Opa war doch sehr unruhig geworden, er schielte nach dem Seitenportal.
»Dann kannst du ja auch wieder gehen, Opa«, lachte Karl Siebrecht, »wenn du dich von keinem schicken läßt. Wiedersehen, Opa!«
Jetzt hatte aber auch der alte Küraß gemerkt, daß er ein bißchen veralbert wurde. »Du dummer Bengel!« schalt er. »Mach bloß, det du hier wegkommst! Keener will dir hier sehen! Und Gepäck kriegst du nie! Wir haben for dir jesammelt, du Lulatsch, bloß, weil wir dir nicht mehr sehen können! Eenen Taler haben wir jesammelt, den sollste haben, wenn de hier bloß wegfährst.«
»Gib ihn her, den Taler, Opa!« sagte Siebrecht überraschend und hielt dem Opa die offene Hand hin.
»Nee, nee, nee!« rief Opa hastig und schloß die Hand sofest, daß der Junge merkte, der Spott-, Hohn-und Sammeltaler lag wirklich darin. »Du fährst doch nich weg!«
»Natürlich tu ich’s«, lachte Karl Siebrecht, »wenn du mir den Taler gibst.«
»Fährste wirklich weg?« fragte der Alte ängstlich und schielte zu den anderen Dienstmännern. Gar zu gerne hätte er sich von ihnen Rat geholt, an diesen Ausgang der Spötterei hatte keiner gedacht. Alle hatten geglaubt, Karl Siebrecht würde in Wut das Geld zurückweisen.
»Wirklich und wahrhaftig, Opa«, beteuerte der Junge. »Auf der Stelle fahre ich weg. Mein Wort!« Er strängte schon das Sattelpferd an.
»Na denn«, sagte der Opa hilflos. Der Taler glitt in Karls Hand. Er steckte ihn schnell in die Tasche, schwang sich auf seinen Sitz, rief: »Adjüs, Opa!« und »Auf Wiedersehen!« Er knallte mit der Peitsche, die Gäule trabten, Karl Siebrecht sah zurück. Er sah, wie sie alle eifrig und wütend auf den Opa einredeten, sah die hilflosen Gebärden des Alten … Er lachte in sich hinein. Gerade so weit fuhr er in die Invalidenstraße, daß er ihnen aus den Augen war, aber er strängte das Pferd nicht wieder ab. Er blieb auf seinem Kutschersitz, Zügel und Peitsche in der Hand, fahrbereit. Es waren höchstens noch drei oder vier Minuten bis zum Warnemünder Zug. Der wird sich was wüten! dachte er, meinte aber nicht den Opa.
Er mußte gar nicht lange warten, da kamen die Dienstmänner mit ihren Karren auf der Fahrt zum Lehrter Bahnhof, zur Friedrichstraße, zum Potsdamer und zum Anhalter Bahnhof. Manche sahen ihn nicht. Den Kopf gesenkt, die Schulter in den Gurt gestemmt, machten sie geduldig mit ihrer Last einen Bogen um den Feind und fuhren weiter, langsam oder eilig, ganz nach den Zügen, die sie erreichen mußten. Andere sahen ihn. Sie schauten einmal hin, zweimal hin und noch einmal hin, jedesmal aber schauten sie schnell wieder fort. Manche taten, als hätten sie nichts gesehen, und konnten doch das Wiederhinschauen nicht lassen. Einige lachten höhnisch, einer rief: »Da stehste jut!« Einer wurde zornrot, ließ denHolm los, drohte mit der Faust und schimpfte: »Du verdammtet Aas, du!« Das war einer, den der verlorene Taler zu sehr schmerzte.
Karl Siebrecht sah auch Kalli Flau vorüberziehen, in die Gurte gebeugt. Der Freund von ehemals stutzte einen Augenblick, dann rief er: »Morgen, Karl!«
»Morgen, Kalli«, rief Karl Siebrecht zurück, und der Freund fuhr vorbei, ohne wieder hochzusehen. Hinter seinem Karren trippelte verstört der alte Opa, nicht einmal zu schieben vermochte er mehr. Zuviel hatten sie wohl auf ihm herumgehackt, und den Rest hatte ihm dann sicher Kalli Flau mit seinen Vorwürfen gegeben.
Einen
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