Ein Mann will nach oben
schlimmsten Falle ist es grober Unfug, kostet zehn Mark Geldstrafe, und die zahlt Kiesow.«
»Warten wir’s ab.«
»Und wie stehen die Geschäfte?« fragte Tischendorf, wie es schien, völlig unerschüttert.
»Danke, danke. Habe eben die Koffer für Kiesow gefahren.«
»Schon gehört. Und jetzt glaube ich es dir sogar. Ein Kamel, der Kiesow, sich so von dir ins Bockshorn jagen zu lassen. Mich kriegst du nicht so leicht!«
»Und du mich gar nicht, Tischendorf!«
»Wie steht’s denn mit uns? Hast du dir das mit den sechzig Prozent überlegt?«
»Von morgen an nehme ich Haifische nur für vierzig Prozent mit«, verkündete Siebrecht.
»Ach nee? Deine Pferde brauchen keine Bewegung?«
»Die kriegen noch zuviel Bewegung!«
»Du kriegst aber kein Gepäck!«
»Das Gepäck kommt schon!«
»Bofke!« sagte Hans Tischendorf diesmal zum Abschied und entschwand, in grauen Korkzieherhosen, völlig ungewaschen.
Und nun war es wieder still um Karl Siebrecht. Langsamentschwanden auch die Stunden, sie brachten die Züge mit ihren Reisenden, mit den Gepäckmassen, aber ihm brachten sie nichts. Die Gepäckträger liefen, die Dienstmänner hoben die Koffer auf ihre Karren und legten sich in die Gurte, er stand tatenlos.
Aber er war doch in der allerbesten Stimmung. Manche Änderung hatte der heutige Tag schon gebracht. Es sah nicht mehr alles hoffnungslos für ihn aus! Vor allem besann sich der April auf seinen Namen. Diesmal stieg der Nebel nicht, er löste sich in einen feinen Regen auf. Dann fing es zu wehen an, und der Regen wurde stärker.
Karl Siebrecht legte den Pferden die Lederdecke über und sah zu, wie auch die Dienstmänner kleine graue Planen über ihre Koffer zogen. Sieh da! sagte er sich. Daran habe ich nicht gedacht. Morgen früh muß ich mir von Franz eine Wagenplane geben lassen, das darf ich nicht vergessen, sonst werden meine Koffer naß. Er rechnete für morgen schon bestimmt mit »seinen« Koffern.
Später bummelte Siebrecht noch durch den Bahnhof, er wagte es heute schon, sein Gespann allein zu lassen. Es würde ganz nützlich sein, dem Gepäckträger Beese von seinen Erlebnissen mit Kiesow zu berichten. Aber er fand Beese nicht, der hatte wohl Spätdienst. Dafür stieß er in »Herren« auf eine ganze Versammlung von Rotmützen, unter ihnen auch auf den nicht rotbemützten Kalli Flau. Sie standen in eifrigem Getuschel um einen Herrn in Zivil.
Bei seinem Erscheinen löste sich die Gruppe sofort auf. Jeder suchte sich einen Platz an der wasserrauschenden Wand, der Zivilist verschwand eilig in einer Toilette. Karl Siebrecht hatte sein Gesicht nicht sehen können, die Gestalt war ihm bekannt vorgekommen, nur ungewohnt verändert. Flüchtig dachte er an den Dienstmann – aber dies war ein Zivilist gewesen …
Er fand einen freien Platz neben Kalli und sagte: »Na, Kalli –?«
Er konnte dem Freunde nicht länger böse sein. Schon war halb vergessen, warum sie sich verzankt hatten.
»Na, Karl?« fragte Kalli mit einem Aufleuchten der Augen zurück.
»Was macht die Rieke?«
»So wie immer. Danke.«
»Ich komme heute abend mal bei euch vorbei.«
»Schön, werde ich ihr bestellen.«
»Also, Kalli!«
»Also! Mach es gut, Karl!«
Er ging, trotzdem er sich den Zivilisten hinter der verriegelten Tür gerne einmal angesehen hätte. Aber er scheute auch nur den Verdacht, zu spionieren.
34. Der zweite Tag – am Abend
Der Meister des Fuhrgewerbes saß im Stall und kratzte mit seinem Taschenmesser Lehm von den Schuhen, als Karl Siebrecht mit den Gäulen hereinkam. »Na, mein Sohn«, sagte er und hielt die offene Hand hin. »Hafer verdient?«
»Immer!« prahlte Karl Siebrecht und legte zehn Mark in die Hand. Dann fügte er langsam Stück für Stück eine Mark und fünfundneunzig Pfennig dazu. »Dein Anteil, Franz!«
Wagenseil besah das Geld nachdenklich, dann spuckte er kräftig drauf. »Handgeld«, sagte er. »Strumpfgeld nennen’s die kleinen Mädchen in der Jägerstraße! Daß unsere Kinder lange Hälse kriegen!« Er spuckte langsam über die linke Schulter nach dem Rappen hin.
»Das
Geld gebe ich bestimmt nicht aus – bis zum nächsten Gerichtsvollzieher!« Er seufzte schwer: »Viel ist es nicht, Karl!«
»Es ist ein Anfang, Franz!« tröstete Karl Siebrecht. »Sie besinnen sich schon.«
»Besinnen sie sich wirklich?« fragte Wagenseil. »Für eins fünfundneunzig würde ich mich nicht viel besinnen.«
»Dienstmänner sind eben billiger als du. – Du, Franz, du mußt mir morgen eine
Weitere Kostenlose Bücher