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Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Entrinnen für Kiesow. Dann, bei der Dorotheenstraße, machte er einen Versuch auszubrechen, statt geradeaus zu fahren, bog er rechts ab, dem Reichstag zu. Aber Karl Siebrecht war auf dem Posten. Im Augenblick hatte er sein Gespann herumgeholt, und nun gingen die Pferde wieder hinter dem Karren, die Deichsel schlug gegen ihn – nun wurde der Mann gehetzt, der eben noch hatte schleichen müssen.
    Voraus oder hintennach: Karl Siebrecht behielt das Spiel in der Hand, und er spielte es, bis zur letzten Karte. Der Mann hatte gemein gegen ihn gehandelt, er war sein Hauptwidersacher, der würde die anderen immer wieder von neuem gegen ihn aufreizen. Den mußte er kleinkriegen, der hatte erst seine Lektion zu begreifen. Am Tiergarten entlang, über den Potsdamer Platz, am Potsdamer Bahnhof vorbei. Zufällig sah es der Junge, wie der Dienstmann 13 einen Blick zur Uhr an der Halle warf und wie sich sofort seine Haltung entspannte, der Gurt schlaff wurde: der Zug war endgültig versäumt, Kiesow hatte den Kampf aufgegeben! Karl Siebrecht knallte mit derPeitsche, er ließ seine Pferde traben, holpernd und polternd ging es über die Kopfsteine der Königgrätzer Straße, auf den Anhalter Bahnhof zu, am Anhalter Bahnhof vorbei. Achtundzwanzig Minuten hatte er den Feind geschunden, nur achtundzwanzig Minuten, und wie lang waren sie ihm erschienen! Wie lang mußten sie erst Kiesow vorgekommen sein!
    Er hat gewendet, er hält jenseits des Platzes, aber er hat eine gute Sicht auf die Gepäckabfertigung. Nach einer Weile Warten sieht er Kiesow aus dem Bahnhof auftauchen, er hat ein paar Handkoffer, die er auf seine Karre stellt. Kiesow fährt ab, er fährt langsam über den Platz, sieht sich dabei nach allen Seiten um. Es ist Karl Siebrecht gleichgültig, ob er gesehen wird oder nicht: das Spiel geht doch weiter. Aber er wird nicht gesehen, Kiesow biegt in die Anhalter Straße ein, weg ist die rote Mütze. Schon sitzt der Junge wieder auf dem Bock, die Pferde traben, und noch sind keine drei Minuten vergangen, da stößt die Deichsel wieder an den Karren. Aber diesmal hat es Kiesow nicht eilig, auch er wünscht jetzt die Auseinandersetzung. Er hält seinen Karren so plötzlich an, daß Karl seine Pferde auf dem Fleck parieren muß, sonst treten sie das schwache Holzding in Stücke: »Jetzt will ich dir was sagen –« beginnt Kiesow. Er hat sich von seinen Gurten losgemacht und geht von der Seite auf Wagen und Feind zu.
    Aber hier in der belebten Anhalter Straße ist nicht der Ort für eine hitzige Auseinandersetzung. »Später! Später!« ruft Karl Siebrecht und setzt seine Pferde in Trab. Er fährt im Bogen um die Karre herum und rasch weiter. Erst im stillen unteren Ende der Wilhelmstraße hält er den rechten Augenblick für gekommen. Ganz überraschend aus einer Seitenstraße einbiegend, setzt er dem Gegner den Rollwagen – plautz – vor die Nase und zwingt ihn zum Halten. »Nun erzähl, was du zu erzählen hast, Kiesow!« sagt er. Wird ein Kampf einmal unvermeidlich, ist es immer besser, man ist der Angreifer statt der Angegriffene. Siebrecht steht erhöht auf seinem Wagen, er hält die Peitsche in der Hand, aber umgedreht, so daß er mit dem starken, biegsamen Stielende zuschlagen kann.
    Kiesow macht sich langsam von seinem Gurt frei. Langsam geht er auf den Wagen zu. Langsam fragt er: »Wie lange willst du das noch machen, du –?«
    »Bis du klein beigegeben hast, Kiesow!« antwortete Siebrecht und läßt keine Bewegung des Feindes außer acht. Der Mann scheint ihm zu friedlich, das ist verdächtig. Der Mann hat etwas vor.
    »Und was nennst du klein beigeben?« fragt Kiesow. Er steht jetzt einen guten Meter von dem Jungen entfernt, aber auch einen Meter tiefer als der.
    »Erstens setzt du als erster dein Gepäck auf meinen Wagen, als Entschädigung für die Hetzerei, die du bei den anderen gegen mich getrieben hast.«
    »Da warte man drauf!« antwortet der Dienstmann, aber viel zu ruhig. »Und was noch?«
    »Zweitens sagst du den Gepäckträgern auf dem Stettiner, daß es eine gemeine Lüge von dir war, daß du mich in grüner Jacke auf dem Bahnsteig vom Lehrter erwischt hättest!«
    »Auch ganz schön!« meinte Kiesow. »Und was noch?«
    »Das ist vorläufig alles«, sagt Siebrecht.
    »Nein, das ist nicht alles, damit fangen wir erst an!« schrie der Kiesow, sprang gegen den Wagen und griff nach den Beinen des Jungen. Er wollte ihn vom Wagen aufs Pflaster reißen.
    Aber der war auf seiner Hut gewesen, er sprang zurück,

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