Ein Mann will nach oben
Geschäftsmann, kein Hanswurst!«
»Du hast ja so recht, Kalli!« rief Siebrecht. »Aber ich kann nicht anders! Ich bin so glücklich! Komm, Kalli! Soll ich dir eine Blume schenken? Ich liebe dich – ich will dir einen Kuß geben!«
Und dabei hatte Siebrecht fünf ganze Koffer auf seinem Rollwagen!
»Halte bloß jetzt die Schnauze, Karl«, flüsterte Kalli Flau. »Da kommt Beese – bei dem mußt du dich vernünftig benehmen. Der nimmt es einem direkt übel, wenn man vergnügt ist.«
Und Karl Siebrecht benahm sich auf der Stelle vernünftig, als er den Gepäckträger Beese wirklich auf seinen Wagen zusteuern sah. Er gab Kiesow seinen Taler: »Hau ab, Kiesow, verdient hast gerade du ihn nicht, aber ich will nicht so sein. Was war, ist von jetzt an vergessen. Sieh, daß du noch ein paar Koffer kriegst, geh in die Halle und jage die Haifische!«
Und zu dem Gepäckträger: »Guten Morgen, Herr Beese! Also wollen Sie es doch mit mir versuchen, das ist nett von Ihnen.«
»Die Blumen«, sagte Herr Beese und schüttelte seinen langentraurigen Pfeifenkopf. »Wenn ich die Blumen vorher gesehen hätte, ich wäre nicht gekommen.«
»Aber Blumen sind doch nichts Schlechtes, Herr Beese!«
»Blumen«, sprach der und kopfschüttelte weiter, »Blumen sind überall, wo man reinfällt. Bei der Taufe und bei der Hochzeit und bei’s Begräbnis. Aber bei der Scheidung, da sind keine Blumen, so ist das. Na, nun nimm mal die Koffer, wo ich schon einmal da bin. Wenn du um zwölf wieder hier bist, werden die Blumen ja hoffentlich verregnet sein.«
Und er sah hoffnungsvoll auf das Gepladder.
Aber der Nachmittag verlief noch besser als der Vormittag, und die Abendfuhre füllte den großen Rollwagen fast ganz. Den Haifisch Tischendorf aber nahm Karl nicht mit. Der hatte wohl nach seiner rattenhaften Art den ganzen Tag gestöbert, gewittert, gerochen – und nun kam er an, mit drei Koffern.
»Da, Haifisch!« sagte er.
»Runter mit den Koffern von meinem Wagen!« befahl Karl Siebrecht.
»Was –? Wir haben doch ausgemacht …«
»Nichts haben wir ausgemacht! Gestern hast du deine Chance gehabt, heute nicht mehr. Ich fahre nur für Gepäckträger und Dienstmänner, nicht für Haifische!«
Es war Karl Siebrecht sehr klar, daß er gestern anderes zu Tischendorf gesagt hatte. Aber ebenso klar war ihm, daß, wie die Sache sich jetzt entwickelt hatte, Hans Tischendorf und sein Anhang nur eine Gefahr für ihn bedeuteten. Er lernte sein Geschäft. Bindendes hatte er mit Tischendorf nicht vereinbart.
»Und du warst selbst noch vor drei Tagen Haifisch!« sagte Hans Tischendorf und nahm seine Koffer vom Wagen. »Na warte, das sollst du bereuen!«
»Willst du mir drohen?« rief Siebrecht und sprang mit beiden Beinen vom Wagen. »Komm her, Tischendorf, warte doch!«
Hans Tischendorf lief schon. Er lief mit seinen drei Koffern, lief, so schnell er nur laufen konnte, um den Bahnhof herum.
Karl Siebrecht aber sah ihm nach und sagte: »Weg mit Schaden!«
DRITTER TEIL • FRANZ WAGENSEIL
36. Vier Jahre später
Vier Jahre später, also im Frühjahr des Jahres 1914, fuhr die Berliner Gepäckbeförderung bereits mit sieben Wagen, und die Familie Busch wohnte nicht mehr in der Wiesenstraße. Mit Sack und Pack, mit der »Engländerin« und ihren beiden jungen Männern war sie in die Eichendorffstraße umgezogen.
Die Wohnung war, wenn auch erheblich größer – sie hatte vier Zimmer, einen Laden und Küche –, kaum eine Verbesserung. Rieke klagte oft über sie. Einmal lag sie ebenerdig und hatte kaum Sonne und nie gute Luft, dann aber war die Gegend gar nicht nett. Es ist eine Tatsache, daß die schönsten Romantiker, die Schlegel, Tieck, Novalis und Eichendorff, ihren Namen Straßen von wenig schönem Ruf haben leihen müssen. Es gab sehr viel zweifelhafte Lokale in diesen Straßen und ganz unzweifelhafte Dämchen. Rieke Busch stellte oft Vergleiche an zwischen den Proletariern des Weddings und diesen Damen, die auf den Schnepfenstrich zogen, und diese Vergleiche konnten nicht zum Vorteil der neuen Wohnung ausfallen.
Karl Siebrecht aber sagte gereizt: »Ach was, Rieke, was sollen die ewigen Quengeleien? Das weiß ich alles selbst. Aber kennst du eine Wohnung und einen Laden, die günstiger für meine Zwecke liegen? Na also!«
Und das mußte wahr sein: die Wohnung, der Laden lagen fast am Ausgang der Eichendorffstraße, genau gegenüber dem Stettiner Bahnhof, und der war noch immer der Hauptplatz der Berliner Gepäckbeförderung geblieben,
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