Ein Mann will nach oben
gab es auch ein Kostüm zu nähen, das waren dann große Tage für Rieke.
Sehr umfangreich war Riekes Kundenkreis nie und durfte es auch nicht sein: sie hatte die Wohnung mit drei Männern und die kleine Tilda zu versorgen, die jetzt auch schon zur Schule ging.
Die beiden Schwestern schliefen in einer ziemlich engen, sehr dunklen Stube nach dem Hofe heraus. Aber diese Lage war Rieke noch lieber als die hellere nach der Straße zu. »Da hör ick doch wenigstens nicht alle Nacht det Jejohle und Jejachter von die anjesoffenen Weiber! Karle, det is ’ne bescheidene Jejend. Wedding is viel hübscher. Mach man, det wir hier balde wieder ausziehen!«
Worauf Karl sein Sprüchlein von der günstigen Lage betete.
In der vierten Stube neben der Küche, die aber bloß eine enge, lichtlose Kammer war, hauste der alte Busch. Der Maurer hatte nun zum dritten Mal umgesattelt: aus einem Bügler war er Portier geworden. Das heißt, nicht eigentlich Portier, dafür war er zu stumpf, denn er redete nun schon lange überhaupt nichts mehr. Aber er fegte für die verwitwete Portiersfrau die Treppen, hielt die Höfe sauber, kümmerte sich um den Müll, brachte verstopfte Klosetts wieder in Ordnung und bastelte sogar an den elektrischen Leitungen herum.
Besonders auf ihn aufgepaßt mußte nicht mehr werden. Was in seiner Brust gestürmt hatte, war zur Ruhe gegangen. Die Last auf seinem Herzen war nicht fortgenommen, aber das Herz hatte sich wohl an sie gewöhnt. Alle acht oder zehnWochen kriegte er »seine Touren«, dann ging er in die nächste Kneipe und betrank sich. Die Gastwirte rundum kannten ihn alle, sie sandten dann zu Rieke: Vater sei nun voll, sie möge ihn nur abholen.
Dann kam Rieke und löste ihn ein, denn der alte Busch hatte nie einen Pfennig in der Tasche. Selten noch, daß sie ihn in der Nacht darauf beruhigen mußte. Am nächsten Morgen war er wieder auf seinem Posten. »Jottlob, det haben wir mal wieder ausjestanden für zwei Monate«, sagte Rieke dann zu Karl. »Dieses Mal hat er nur drei zwanzig verbroocht. Der Mann verträgt imma weniger, Karle! Weeßt de noch, wie Vata mal hundertsechzig Märker von deinem Sparbuch uffjetutscht hat – da war er noch in Form!«
»Gott ja, die zweihundert Mark von der alten Minna!« antwortete Karl Siebrecht. »Nun wird es aber wirklich Zeit, daß ich sie ihr zurückschicke. Ich muß mich direkt schämen! Wie lange habe ich von Minna nichts mehr gehört, Rieke? Zwei oder drei Jahre?«
»Weihnachten vor zwei Jahre hat se dir doch noch ’ne Jans jeschickt, Karle!«
»Und ich habe ihr nicht mal gedankt! Und das Geld habe ich ihr auch nicht geschickt! Zu nichts kommt man mehr! Und nie habe ich Geld –!«
37. Telefongespräch mit einem alten Bekannten
Aber wenn Karl Siebrecht sagte, daß er kein Geld hatte, so stimmte das doch nicht ganz. Er wie Kalli sparten, soviel sie nur konnten, und der ganze Haushalt sparte mit. Jede Mark, die vom Geschäftsgewinn abgezweigt werden konnte, wurde diesem Sparfonds zugeführt.
Karl war sich klar darüber, daß, so gut die Geschäfte gingen, es doch seit ein, zwei Jahren kein rechtes Vorwärts mehr gab. Die Einnahmen hielten sich ständig auf der gleichen Höhe und waren, so wie der Betrieb jetzt aufgezogen war,auch kaum steigerungsfähig. Gewiß, er konnte noch ein oder zwei Wagen mehr fahren lassen, aber dann war es auch alle, darüber hinaus gab es nichts mehr.
Der junge Mann, der im Laden an der Eichendorffstraße am Fenster stand und über den kalkweißen Anstrich der Scheibe auf die vom Mailicht helle Straße hinaussah, wußte seit langem, was zu geschehen hatte: er mußte direkt an das Reisepublikum heran. Er mußte auf jedem Bahnhof einen Schalter haben, wie die Gepäckabfertigung, wie die Billettschalter. Das Publikum mußte seine Gepäckscheine direkt bei ihm auf dem Bahnhof abgeben können.
Aber dazu brauchte er Geld, viel Geld, Tausende, wahrscheinlich Zehntausende. Die Bahn verlangte die Einstellung kaufmännisch geschulter Kräfte, eine Buchführung, die ein wenig mehr war als das einfache, von der Palude eingerichtete Kassenbuch. Kassenschränke, Büromöbel mußten gekauft werden. Wahrscheinlich hätte sich Karl Siebrecht das Geld leicht borgen können, aber das wollte er nicht. Er hatte die Firma aus eigenem aufgebaut, es war seine Firma, es sollte auch allein seine Firma bleiben. Er wollte keine Teilhaber, weder tätige noch stille. So hatte er in aller Heimlichkeit angefangen zu sparen, zurückzulegen, heimlich vor
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