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Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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war für ihn ein abgeschlossenes Kapitel. Er arbeitete, er zog seinen Karren wie alle anderen. Wie vor vier Jahren trabte er, in den Ziehgurt gebeugt, durch die Straßen Berlins, immer von dem Gedanken gehetzt, daß sie das heute aufgehäufte Gepäck noch fortschaffen mußten. Die Leute waren willig genug, sie arbeiteten bis gegen Mitternacht. Einmal, es war schon nach zehn Uhr abends, sah er in der Invalidenstraße einen in der Gegenrichtung fahrenden Karren: der alte Busch zog, hinten schoben Rieke und die Palude. Weiß Gott, die alte säuerliche Palude schob tief in der Nacht einen Gepäckkarren durch die Straßen Berlins … Er hatte keine Zeit, sie anzurufen, ihnen zu danken, er mußte weiter. Aber während er sich in den Ziehgurt legte – die Schultern schmerzten schon von der ungewohnten Arbeit –, dachte er mit einem Gefühl tiefer Rührung, daß er diesen Kampf nicht mehr allein kämpfte wie seinen ersten Kampf gegen Kiesow. Jetzt hatte er Freunde inder großen Stadt Berlin. Die vier Jahre waren nicht umsonst vergangen!
    Sie schafften es nicht! Sie schafften es auch bis Mitternacht nicht, trotz Laufen und Hetzen. Es hatte sich zuviel Gepäck angesammelt, jetzt sah man erst, wie sehr ein einziger Rollwagen fünf Karren überlegen war. Sie liefen und hetzten, aber wenn Pferde traben, schafft es mehr, als wenn Menschen hetzen. Gegen Mitternacht stoppte Karl Siebrecht den Betrieb ab! Was heute nicht geschafft war, mußte morgen getan werden. Sie würden schon um sieben Uhr wieder anfangen.
    Am nächsten Tage verstärkte er seinen Fuhrpark noch um weitere acht Karren, jetzt fuhren sie schon mit fünfundzwanzig Karren! Wieder begann das Hetzen und Jagen, und der Tag war endlos lang. Trostlos starrten sie in die Keller der Gepäckausgaben, sie luden auf und luden auf …, aber das Gepäck wurde nicht weniger, es wurde mehr. Es war, als sei der Teufel gegen sie im Bunde, das Maiwetter blieb herrlich, alle Züge waren überfüllt, sie hatten Hochkonjunktur – in der falschen Zeit! Auf den Gepäckabfertigungen wurde er nun nicht mehr gescholten. Sie sahen ja alle, wie er sich mühte. Aber manch einer sagte ihm doch: »Geben Sie’s schon auf! So schaffen Sie es nie! Ohne Pferde wird das nichts! Nehmen Sie doch einfach andere Pferde!«
    »Habt nur noch ein paar Tage Geduld!« bat er dann. »In ein paar Tagen wird es bestimmt anders!« Aber er wußte selbst nicht, wieso es anders werden sollte. Die Partei Wagenseil meldete sich nicht, keine Kunde von denen. Keine Klage war überreicht worden, die angemeldete Bücherrevision hatte nicht stattgefunden – es war unheimlich, wie still die waren. Es war verdächtig. Manchmal erzählte einer von den alten Leuten, daß er jemand vom Wagenseilchen Fuhrhof auf einem Bahnhof getroffen hatte, also etwa den Kutscher Lindenberg oder Franz Wagenseil selbst. Es wurde also beobachtet, sie paßten auf, daß er auch ja keine Gespanne mietete, sie hatten den Kampf noch nicht aufgegeben.
    Schon wurden die alten Leute, die zuerst am eifrigsten gewesenwaren, verdrießlich. Den Kutschern hatte es zuerst Spaß gemacht, weil sie dem Franz Wagenseil einen Streich spielen konnten, aber schließlich waren sie Kutscher. Geld verdienen machte es nicht allein. Sie hatten das Gefühl, nicht nur von ihrem Bock auf die Straße hinuntergestiegen zu sein, nein, sie kamen sich auch sozial tiefer gekommen vor. »Wie lange jeht det denn noch, Chef?« fragten sie. »Sie können doch Pferde massenweise haben, machen Se doch!« – Er konnte sie wieder nur vertrösten, sie würden nie die Zwangslage verstehen, in der er war. Einer wechselte in eine Brauerei hinüber, einer in ein Speditionsgeschäft. Es war eine Frage von Tagen, wann ihnen die anderen folgen würden.
    Auch die Beifahrer, die Verlader, wurden ungnädig. Meist waren es frühere Dienstmänner, sie waren es gewohnt, mit einem Gepäckwagen durch Berlins Straßen zu ziehen. Aber das war schon so lange her! Seitdem hatten sie mit einem Lederschurz auf dem Rollwagen gestanden, sie waren in Berlin spazierengefahren worden – es war fast, als hätten ihre Beine nun das Laufen verlernt. »Det is nischt mehr for uns, Chef!« sagten sie. »Nun machen Se aber bald Schluß damit, wat, Chef?« sagten sie. Und wieder nur Vertröstungen!
    Ja, er konnte es sich hundertmal sagen: Ich will durchhalten!, er wußte schon den Tag, an dem es mit dem Durchhalten alle sein würde.

46. Rettung?

    Wenig Karren nur hatte Siebrecht auf seinem Wege zum Anhalter Bahnhof

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