Ein Mann will nach oben
und wieder zurück zum Stettiner gesehen; es ging zu Ende, der Zusammenbruch war nahe! An der Gepäckabfertigung sagten sie ihm: »Was soll denn das? Ein Karren, und wir haben hier Gepäck für vier Rollwagen liegen? So geht das nicht mehr weiter!«
»Nur noch heute Geduld!« lächelte er dünn. »Morgen wird es anders!« Und belud seinen Karren, setzte die fruchtlose Schinderei fort und dachte: Bis morgen ist noch lang, vielleichtfällt mir bis morgen etwas ein. Aber er dachte es ohne rechten Glauben.
Dann kam der Lehrling Egon Bremer gelaufen und meldete: »Sie sollen gleich mal aufs Büro kommen, Chef, die wollen was von der Eisenbahndirektion! Warten Sie, den Karren nehme ich – Anhalter, was?« Und willig legte sich der blasse, sommersprossige Junge, der in den letzten Nächten nicht viel Schlaf bekommen hatte, in den Gurt.
Also auch die Eisenbahndirektion – alles kam zusammen! Da würde er nun wieder die Klagen anhören müssen, mit denen sie ihm seit elf Tagen auf allen Bahnhöfen in den Ohren lagen! Und was konnte er antworten? Konnte er auch nur Abhilfe versprechen? Es war ja ganz nutzlos, überhaupt hinzugehen! Bloß um sich ausschelten zu lassen? Nein, kam gar nicht in Frage! Und doch schrieb er sich die Zimmernummer 387 und den Namen Regierungsrat Kunze nach Fräulein Paludes Angaben auf einen Zettel. »Schön, Fräulein Palude«, sagte er.
»Und Sie sollen pünktlich um zehn dort sein!«
»Schön!« sagte er wieder und sah auf des Vaters silberne Uhr. Es war schon nach neun, viel Zeit hatte er nicht mehr. Aber er ging ja überhaupt nicht hin! Es war doch zwecklos!
»Und dann Herr Siebrecht: neun von unseren Leuten sind heute nicht angetreten – was machen wir bloß?«
»Weiß ich schon! Ist in Ordnung! Ich ziehe mich dann schnell um!« Er ging in sein Zimmer. Einen Augenblick stand er fast gedankenlos da, wozu sollte er sich eigentlich umziehen? Er ging ja doch nicht hin!
Nun tat sich die Tür zum Flur auf, und Rieke steckte den Kopf herein: »Haste det schon jehört, Karle, det neun Mann nich anjetreten sind? Wenn da man nur nich der Franz dahintersteckt!«
»Es kommt alles in Ordnung, Rieke, rege dich bloß nicht auf. Und jetzt geh bitte, ich muß mich auch noch umziehen.«
»Ach, Karle, es tut mir ja so leid …«
»Es ist ja gut, Rieke! Ich muß dir nicht leid tun. Es kommt bestimmt noch in Ordnung!«
Er schob sie aus der Stube und fing an, sich umzuziehen. Er hatte sie belogen, er glaubte nicht daran, daß dies wieder in Ordnung kam, aber das erfuhr sie morgen noch früh genug.
Er hatte sich ganz sonntäglich angezogen und stand nachdenklich vor der Palude. Sie sah mit einem so unglücklichen Blick zu ihm auf, daß er lächeln mußte. Er sagte: »Geben Sie mir bitte mein Sparkassenbuch, Fräulein Palude.«
»Wollen Sie denn schon wieder Geld abheben, Herr Siebrecht? Es sind gerade noch neunhundert Mark darauf. Es hat doch keinen Zweck, wieder Leute anzunehmen, wir schaffen es doch nicht.«
»Wir schaffen es schon«, log er wiederum und ging. Wenn es denn Zusammenbruch sein sollte, so sollte es ein sauberer Zusammenbruch sein. Heute abend wollte er alle auszahlen und die geliehenen Handkarren zurückgeben, er rechnete in seinem Kopf die Löhne zusammen. Fräulein Palude mußte er mindestens ein Monatsgehalt auszahlen, und der Lehrling Bremer sollte einen Fünfzigmarkschein für seine Schufterei kriegen. Ein tüchtiger Bengel – schade, daß er ihn los wurde. Wenn er alles zusammenrechnete, blieb noch immer Geld über. Und das mußte es auch. Er mußte ohne alle Schulden aus dieser Sache.
»Alles?« fragte der Schalterbeamte.
»Fünf Mark lasse ich stehen!« antwortete er. Er ging aus der Kasse. Er hatte noch immer ein Sparbuch in der Tasche. O nein, ganz gab er sich noch nicht auf! Von der Sparkasse ging er auf das Postamt. Er schrieb eine Postanweisung aus, eine Postanweisung über zweihundertfünfzig Mark an die alte Minna. Viel zu lange hatte er schon damit gewartet, nun, im Zusammenbruch dachte er daran. Es sollte alles seine Ordnung haben, fünfzig Mark für Zins und Zinzeszins auf vier Jahre. Reichlich bemessen, anständig. Gerade im Zusammenbruch konnte man nicht anständig genug sein. Herzlichen Gruß! schrieb er auf den Abschnitt. Zögernder schon: Mir geht es gut. Dann aber rasch: Zu meinem Geburtstag besuche ich dich. – Es waren noch gerade zwei Monate bis dahin. Aberdas machte nichts, er würde Zeit haben, Zeit genug … Ob er aber auch das Reisegeld haben würde?
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