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Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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nicht mehr, daß er fuhr, daß die Riesenstadt um ihn wogte und tobte, er war ganz allein mit sich. Aber, dachte er hartnäckig, damals, als das mit der Nähmaschine war, habe ich mir doch auch geholfen. Damals schienen wir doch auch ganz am Ende und sind doch durchgekommen! Wir haben sogar die Engländerin behalten, wie ging das noch zu? Richtig, ich borgte mir das Geld von Oberingenieur Hartleben! Heute. – Der Rittmeister fiel ihm ein. Aber er machte eine ungeduldige Bewegung mit der Schulter. Der Mann war nicht in Berlin, er war auf seinem Gute in Vorpommern oder Mecklenburg, und er, Karl Siebrecht, brauchte Hilfe bis morgen früh! Da hieß es also, hilf dir selbst – den lieben Gott und den Rittmeister mußte er schon besser aus dem Spiele lassen.
    »Wollen Sie denn nicht endlich aussteigen?« fragte der Chauffeur ungnädig.
    »Natürlich!« sagte er. Sie hielten vor der Eisenbahndirektion, vielleicht schon eine ganze Weile. Karl Siebrecht stand auf, zahlte und lief in das Gebäude. Es war eine Minute vor zehn Uhr!

47. Herr Regierungsrat Kunze

    »Pünktlich zehn Uhr«, sagte Herr Regierungsrat Kunze. »Nicht zu früh und nicht zu spät, das lobe ich mir!« Karl Siebrecht lächelte schwach als Antwort.
    Der Herr Regierungsrat Kunze war ein älterer wohlbeleibter Mann, ein Mann mit einem kräftigen Bauch und einem dicken, fleischigen, aber grauen Gesicht. Er sah aus, als sei er in seinem Leben nie aus diesem dunklen, recht häßlichen Bürozimmerherausgekommen, dessen einziger Schmuck messinggetriebene Arabesken am schwarzen Rohr der Gasbeleuchtung waren. Es war aber keine Gasbeleuchtung mehr, die Eisenbahndirektion hatte fortschrittlich zwei Drähte durch das einstige Gasrohr ziehen lassen und es dadurch in eine elektrische Beleuchtung verwandelt. Herr Regierungsrat Kunze hatte nichts modernisieren können. Er sah genauso aus, als habe er sein Lebtag mit Akten zu tun gehabt, ja, als habe er auch dann und wann zwischen Akten gelegen, so grau und verstaubt wirkte er in seinem Pfeffer-und-Salz-Anzug. Das einzige Erheiternde an ihm waren seine Haare, sie standen steil hoch, genau wie bei einer Haarbürste oder wie gesträubte Igelstacheln. Sie waren aber, wie das zu ihm gehörte, eisengrau. »Nehmen Sie doch Platz, Herr – wer sind Sie nun, Herr Siebrecht oder Herr Flau?«
    »Siebrecht ist mein Name, Herr Regierungsrat!«
    »Sie sehen noch gewaltig jung aus, Herr Siebrecht. Wie alt sind Sie wohl?«
    »Ich bin zwanzig Jahre alt.«
    »Aber Ihr Kompagnon, der Herr Flau, ist älter?«
    »Jawohl, der ist schon zweiundzwanzig.«
    »Schon zweiundzwanzig! Fürwahr ein hohes Alter!« Herr Kunze hüstelte, als habe er Staub in die Kehle bekommen. Er betrachtete durch seine scharfgeschliffene Brille den jungen Mann mit einem milden, leicht erstaunten Interesse. »Man kann also in jedem Sinne sagen: ein junges Unternehmen!«
    »Bitte, Herr Regierungsrat, meine Firma besteht seit vier Jahren!« stellte Karl Siebrecht nicht ohne Stolz fest.
    »Das wissen wir doch, Herr Siebrecht, und ob wir das wissen!« sagte Herr Kunze vorwurfsvoll. Er griff hinter sich in ein Regal und holte einen Akt hervor, den er auf den Schreibtisch legte. Sogar von seinem Platz aus konnte Karl Siebrecht lesen, daß auf dem Akt groß mit Rundschrift geschrieben »Siebrecht & Flau« stand. Es war nicht einmal ein dünner Akt. Karl Siebrecht wunderte sich, was die hier alles über ihn geschrieben haben konnten. Herr Kunze schlug mit der flachenHand auf den Akt. Es flog aber kein Staub auf, ein Beweis dafür, daß der Akt zumindest in letzter Zeit häufig benutzt worden war. »Vier Jahre sind keine lange Zeit«, sagte Herr Kunze.
    »Jetzt hinterher kommen sie mir auch nicht mehr lange vor«, gab Siebrecht zu. »Als ich drinsteckte, schienen sie mir manchmal schrecklich lang..«
    »Zum Beispiel die letzten vierzehn Tage, wie, Herr Siebrecht?«
    Der junge Mann war verblüfft, dieser alte, verstaubte Aktenlöwe redete, als sei er die letzten vierzehn Tage mit vor dem Handwagen gelaufen!
    »Es sind in der letzten Zeit ein bißchen viel Klagen über Ihre Firma eingelaufen«, erklärte der Regierungsrat. »Es klappte nicht mehr so recht mit der Gepäckbeförderung, wie?«
    »Nein«, gab Karl Siebrecht zu.
    »Und woran liegt das?«
    »Ich habe Differenzen mit dem Fuhrunternehmer …« sagte Karl Siebrecht zögernd.
    »Auch das wissen wir!« Wieder griff Herr Kunze in das Regal hinter sich und brachte einen zweiten Akt hervor. Auch diesen wesentlich dünneren Akt

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