Ein Mann will nach oben
wie ’n Jerichtsvollzieher aus – au Backe!«
Der Herr mit der vielbenutzten Aktentasche, der eintrat, sah wirklich aus wie solch unerwünschter Kuckucksjünger, er war aber keiner, sondern der Bote einer Anwaltsfirma. Höflich und eilig bat er um Ausweis und Unterschrift, überreichte einen versiegelten Brief und war schon wieder verschwunden, er hatte kaum die Stube betreten. »Der hatte es ja mächtig eilig! Der hat doch jar nich jepfändet!« rief die Krienke enttäuscht von der Tür her.
»Machen Sie gefälligst die Tür zu, was geht das Sie an!« schrie Siebrecht wütend. Und krachend fiel die Tür ins Schloß. Zum zweiten Mal hatte er sich die Gunst seiner Schlummermutter verscherzt.
Er riß den Brief auf und las, was ihm die Herren Lange & Messerschmidt, Rechtsanwälte und Notare, zu schreiben hatten. »Sehr geehrter Herr Siebrecht!« las er. »Im Auftrage unserer Mandantin, Fräulein Hertha Eich, überreichen wir Ihnenin der Anlage einen bankbestätigten Scheck, lautend über 50 000 Rentenmark, buchstäblich fünfzigtausend Rentenmark. Der Verwendungszweck ist Ihnen bekannt. Unsere Mandantin macht zur Bedingung, daß ihr Name als der der Geldgeberin nicht genannt wird. Mit dem Ausdruck unserer vorzüglichen Hochachtung sind wir Ihre …« Krickelkrackel. Krickelkrackel …
Das geht doch nicht! Das geht doch nicht! dachte er immer wieder. Das ist ganz unmöglich! Sie hat mich erst ganze dreimal in ihrem Leben gesehen. Das ist völlig unmöglich! Ich brauche ihr Geld auch gar nicht, ich habe ohnedies schon genug. Will sie mich denn kaufen? Er war verwirrt und unentschlossen. Er, der eben noch mit ihr gegrollt, der ihr vorgeworfen hatte, sie habe ihn zu Prahlereien verführt und dann sitzenlassen, er nahm es ihr nun übel, daß sie sich in seine Geschäfte mengte, daß sie sich in sein Leben drängte. Ich zerreiße den Scheck, dachte er. Plötzlich wußte er, was er zu tun hatte: er mußte sie erst sehen, erst mußte er mit ihr sprechen, ehe er über diesen Scheck entschied. Eilig ging er in die nächste Wirtschaft, er rief an: Herr Eich kam erst gegen acht Uhr nach Haus, er hatte aber hinterlassen, daß er um halb neun Herrn Siebrecht erwarte.
Schön. Danke schön. Er hängte an. Kein Gedanke daran, nach dem Fräulein zu fragen. Diese junge Dame wollte er nicht am Telefon sprechen. Nein, so nicht! In seiner linken Brusttasche steckten die Bestätigungen der drei Geldgeber, und in der rechten Brusttasche war aufbewahrt der Scheck der Geldgeberin – aber ob dieser Scheck je hervorgezogen würde, das mußte er erst sehen.
93. Hertha Eich verreist
»Ja, ich weiß«, sagte Karl Siebrecht, »daß Herr Eich mich erst um halb neun erwartet. Aber ich hätte vorher gern noch das gnädige Fräulein gesprochen. Würden Sie mich bitte anmelden?«
»Das gnädige Fräulein ist verreist«, sagte das Mädchen höflich.
Er war wie vor den Kopf geschlagen. »Aber wieso –?! Ich habe doch erst gestern abend hier mit ihr … Ich habe doch heute noch einen Brief von ihr bekommen. Das heißt, natürlich nicht von ihr …« verbesserte er sich, denn dies hätte er lieber nicht gesagt.
»Das gnädige Fräulein ist heute mittag abgereist«, sagte das Mädchen.
»Ach so! Ja richtig!« sagte er. Es war an der Zeit, daß er seine Fassung wiedergewann. Hertha Eich hielt eben mühelos jeden Rekord in Überraschungen. »Ich komme dann also um halb neun wieder. – Wann wird übrigens das gnädige Fräulein zurückerwartet?«
»Ich kann es wirklich nicht sagen«, antwortete das Mädchen, und nun stieg er die Treppe wieder hinunter. Die nächste halbe Stunde, bis er zum zweiten Mal an der Eichschen Tür klingeln konnte, war nicht angenehm. Ärger, Wut, Enttäuschung, Unentschlossenheit, alles zog an ihm vorüber, vermengte sich, stritt miteinander. Er war überzeugt, daß sie nur darum so überraschend abgereist war, um eben das zu verhindern, was er für notwendig hielt, daß er sie noch einmal sprach, ehe er den Scheck vorlegte oder vernichtete. Natürlich würde er ihn nun vernichten, nie würde er den Scheck benutzen, nie!
Auch die Unterhaltung mit Herrn Eich verlief bei weitem nicht so ruhig und freundlich wie die am Abend zuvor. Herr Eich schien von vornherein zeigen zu wollen, daß er kein stiller Teilhaber war. Den Kopf in die Hand gestützt, sah er die drei Erklärungen durch, schweigend, überlegend. Dann nahm er mit spitzen Fingern ein Blatt und gab es an Siebrecht zurück. »Ich glaube, diesen Herrn scheiden wir
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