Ein Mann will nach oben
Feind ist. Aber ist er mein Feind? Ich weiß es nicht. Eich könnte mir Näheres sagen, aber Eich sagt nichts, dessen bin ich sicher. Er hat mir einen Wink gegeben – aber muß dieser Wink auf Bremer deuten? Ich werde ihn im Auge behalten, aber ich würde ihn ungern verlieren. Keiner kann die Leute besser im Zug halten als dieser kalte Hund.
Selbstverständlich vergaß Siebrecht Herrn Bremer sofort wieder in den Sorgen um den herannahenden Hochzeitstag. Solange er im Büro saß, ging es noch. Er zögerte die Heimkehr solange wie nur möglich hinaus. Aber dann mußte er sich doch entschließen. Er machte noch einmal Station in einem Caféhaus, er saß zwischen den schwatzenden Leuten, und plötzlich trieb es ihn hoch. Es konnte eine Nachricht von ihr in der Passauer Straße liegen, sie konnte ihn dort erwarten. Er fuhr eiligst in einem Taxi nach Haus. Die Fenster waren dunkel, sie erwartete ihn nicht.
»Nichts Neues, Hilde?« fragte er das Mädchen in der Küche, das verschlafen von seinem Roman hochfuhr.
»Nichts Neues, Herr Direktor!«
»Niemand was abgegeben? Keiner nach mir gefragt? Nicht angerufen?«
»Nichts, Herr Direktor!«
Er fühlte ihren neugierigen und doch teilnehmenden Blick. Natürlich hatte auch sie den Artikel gelesen, natürlich hatte auch sie erfahren, daß die Hochzeit nahe bevorstand. Natürlich machte sie sich jetzt Gedanken darüber, daß das gnädige Fräulein nicht mehr kam. »Schön, schön, Hilde«, sagte er zerstreut. »Schlafen Sie gut.«
Und er gab ihr so überraschend die Hand, daß sie ganz verlegen wurde. Sie faßte ungeschickt danach. »Schlafen Sie auch gut, Herr Direktor. Herr Direktor schlafen jetzt viel zuwenig! Darf ich noch etwas bringen? Kaffee vielleicht?«
»Nein, danke«, sagte er und ging. Er ging in sein Zimmer, nahm ein Buch in die Hand und versuchte zu lesen. Und wie jeden Abend legte er das Buch nach drei Minuten weg und begann seine Wanderung durch die Vorderzimmer. Er stellte alle Türen auf, er ging von seinem Zimmer in ihr Zimmer und wanderte weiter in das Schlafzimmer. Schritt für Schritt, Stube für Stube durchwanderte er ihr gemeinsames Leben. Hier, vor diesem Spiegel, hatte er ihre Nähe zuerst gespürt. Hier hatte er sie in die Arme genommen. In diesem Sessel hatte sie gesessen, als sie sich zum ersten Mal gestritten hatten. Es warvorbei, vorbei … Es war alles noch da, ihr Bett wartete auf sie, wie sein Herz auf sie wartete, aber es war alles vorbei …
Er ging und er ging. Späte Nachttaxi huschten rasch durch die Passauer Straße, eilige Schritte letzter Heimkehrer klangen auf und verklangen. Er wanderte. Er wanderte Schritt um Schritt, und alles, was zu seinem Leben geworden war, wanderte mit ihm. So war wohl auch Rieke, wartend auf ihn, hin und her gewandert, manche Nacht, manchen Tag. Aber es war Unsinn, von Vergeltung zu sprechen. Es gab weder Vergeltung noch Strafe. Seit er das Pflaster von Berlin jener nassen Novembernacht betreten hatte, ein von Ehrgeiz verzehrter Junge, war alles seinen gesetzmäßigen Weg gegangen. Nichts ließ sich ändern, alles hatte so kommen müssen. Alles kam, wie es kommen mußte! Und was kam nun? Er hätte es so gern gewußt, und doch graute ihm davor, es zu wissen! Lieber weiterwandern, weiterwandern durch die Nacht, mit einem Funken Hoffnung im Herzen, das Schicksal möge ihm doch noch einmal gnädig sein …
102. Ein letzter Versuch
Am Mittag, dreiundzwanzig Stunden vor seiner Hochzeit, wußte er noch immer nichts. Er war am Morgen bei den Anwälten gewesen und hatte den Ehevertrag unterschrieben. Die beiden Eheleute würden in Gütertrennung leben, der Ehemann hatte aus dem Vermögen der Frau hundertundzehntausend Mark als Darlehen empfangen, und zwar siebzigtausend als Beteiligung an seinem Geschäft, vierzigtausend als persönliches Darlehen …
»Der ›Gute Ruf‹«, flüsterte Herr Lange.
… Blieb die Ehe kinderlos, fiel das Vermögen nach dem Tode der Ehefrau an die Familie Eich zurück, sonst ging es an die Kinder …
Ein kalter, leidenschaftsloser Vertrag, neben der Unterschrift Karl Siebrechts standen nur die Namen der Anwälte,als Bevollmächtigte der Hertha Eich … »Und keine Nachrichten –?« fragte Karl Siebrecht, als er die Feder hinlegte.
»Keine Nachrichten«, sagte Herr Lange. »Wir sind für die Trauung bereit.«
»Herr Eich hat nichts von sich hören lassen.«
»Es ist keinerlei Gegenorder gekommen, wenn Sie das meinen, Herr Siebrecht. Soviel uns bekannt ist, ist Herr Eich zur
Weitere Kostenlose Bücher