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Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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überschlug die Menge des täglich beförderten Gepäcks, seine Unkosten, die Prozente, die er abführen mußte. Es schien alles klar und richtig, der Prozentsatz war hoch, aber er war tragbar …
    Unterdes standen die beiden Fahrer rauchend bei ihren Wagen und sprachen leise miteinander. Unterdes saß der Herr von Senden drinnen bei Hertha Eich und kämpfte für ihn. Unterdes ging der alte Eich schlaflos, ruhelos in seinem Arbeitszimmer auf und ab, den Aufschlag seines kaffeebraunen Tuchjacketts zwischen Daumen und Zeigefinger, er dachte an seine Tochter. Unterdes wurde der Rechtsanwalt Lange von einem Angsttraum geweckt: die Hochzeitsgäste warteten, die Glocken läuteten, aber weder Braut noch Bräutigam kamen! Er erwachte und merkte, daß der Angsttraum kein Angsttraum war, sondern in wenigen Stunden Wirklichkeit sein würde.
    Karl Siebrecht aber rechnete. Er war jetzt bei den Lumpensammlerfuhren angelangt, die das Gepäck der Berliner aus den Wohnungen holten. Plötzlich blieb er wie vom Blitz getroffen stehen: die Erleuchtung war über ihn gekommen! Herr Eich ließ sich auch die Leerkilometer dieser Fuhren bezahlen! Darüber war nichts im Vertrage vorgesehen, es war eine Lücke, und so hatte man von Anfang an die Kilometergebühr abgeführt, auch wenn die Wagen leer fuhren. Und sie fuhren oft lange Strecken leer. Jetzt hatte er ihn erwischt! Er würde nicht einen Tag, nicht eine Stunde warten, ihn deswegen zur Rede zu stellen! Er würde das Zuvielgezahlte zurückfordern! Es mußte eine ganz hübsche Summe ausmachen, Herr Körnig würde sich freuen! Eine glückliche Stunde, eine Erleuchtung zur rechten Zeit! Er hatte den Vater erwischt, er würde auch die Tochter bekommen! Siegesgewiß ging er dem Rittmeister entgegen: »Nun –?« fragte er.
    »Es tut mir leid, mein Junge«, sagte der Herr von Senden. »Es ist nichts zu machen.«
    »Was sagt sie? Hat sie überhaupt etwas gesagt?«
    »Doch ja. Sie hat da so einen Aberglauben, sie bildet sich ein, wenn sie erst gebunden ist, schwindet die Liebe bei ihr oder bei dir. Es ist eben ein Aberglaube, dagegen kommt man nicht an.«
    »Doch! Ich werde jetzt selber mit ihr reden.«
    »Es ist ganz zwecklos. Sie will dich nicht sehen. Später ja, wenn dieses Heiratsprojekt endgültig gescheitert ist, jetzt nicht. Siehst du, da geht das Licht schon aus. Es hilft alles nichts, beiß die Zähne zusammen, steige in den Wagen und fahre mit mir nach Berlin. Du wirst zu tun haben, den Eklat heil zu überstehen.«
    »Ich werde doch mit ihr reden!« sagte Karl Siebrecht. Er hatte die Villa im Auge behalten, die beiden Fenster im Erdgeschoß waren dunkel geworden, dafür brannte jetzt Licht in einem Fenster des ersten Stockes.
    »Was willst du ihr sagen?« rief der Rittmeister. »Ich kann dir schwören, ich habe mit Menschen-und Engelszungen geredet, aber gegen solchen Wahn ist nicht anzukommen!«
    »Was ich ihr sagen werde?« fragte Karl Sieb recht böse. »Ich werde sie bluffen! Der Vater hat mich hereingelegt, und nun werde ich die Tochter bluffen. Tun Sie mir einen Gefallen, Rittmeister, sagen Sie nichts. Ich gehe jetzt dort in das Haus, und wenn ich knapp fünf Minuten drin bin, fahren Sie mit möglichst viel Lärm los. Fahren Sie nach Berlin und machen Sie sich zur Hochzeit fertig, ich bringe sie!« Hastig: »Der andere Wagen soll warten, und wenn es Stunden dauert. Gute Fahrt, Herr von Senden!« Und er ging, ehe der andere noch ein Wort hatte sagen können.

103. Das lange Zwiegespräch

    Leise zog er die Haustür hinter sich zu und stand lauschend in einem dunklen Raum. Ziemlich entfernt tickte eine große Uhr, sonst war nichts zu hören. Mit grimmigem Lächeln bückte er sich und zog seine Schuhe aus. Er stellte sie neben die Tür und wagte dann, ein Streichholz anzuzünden. Erstand in einer Art Halle, Geweihe hingen an den Wänden, direkt vor ihm war ein Tisch mit einer großen Vase. Es war ein Glück, daß er keinen Schritt vorwärts getan hatte, er hätte die Vase vom Tisch geworfen und das ganze Haus geweckt. Das Streichholz erlosch, ehe er noch gesehen hatte, wie er weitergehen mußte. Aber beim Licht eines zweiten Streichholzes entdeckte er den Treppenfuß am anderen Ende der Halle und erreichte ihn, ehe ihn das Licht wieder verließ. Im Dunkeln, vom Geländer geführt, stieg er rasch empor. Er war jetzt kalt und entschlossen. Eigentlich wiederholte sich alles im Leben, so hatte er einmal am Stettiner Bahnhof gehalten, fünfunddreißig Mark in der Tasche, und hatte alles

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