Ein Mann will nach oben
wirst du tun, wenn du Berlin erobert hast –?«
Der Junge schwieg verwirrt einen Augenblick, da sagte derRittmeister schon: »Dann wirst du deiner Eroberung überdrüssig sein! Sie wird dich anekeln! Dann wirst du dasitzen, mit der Macht in Händen, mit dem Reichtum in Händen, und wirst dich fragen: wozu das alles? Was soll ich nun tun? Es ist todeslangweilig, alles. Ich war tausendmal glücklicher damals, als ich noch nichts war und hundert Hoffnungen hatte! Heute bin ich alles und habe nichts mehr zu erwarten.«
»Ich …« fing der Junge an.
»Noch einen Augenblick, Karl Siebrecht! Noch eine Frage! Glaubst du an Gott?«
»Ich … ich weiß nicht …«
»Nun stelle ihn dir immer vor irgendwo da oben im All, seinen Sternen die Bahn zumessend und seiner Menschen Geschicke lenkend. Und seit Äonen von Jahren laufen die Sterne auf ihrer leuchtenden Spur, und seit Äonen von Jahren werden die Menschen geboren, hoffen und sterben, sie lieben und hassen, und sie sterben dann, sie führen blutige Kriege und bauen Kulturen auf, die wieder vergehen – glaubst du nicht, daß Gott längst weiß, daß gar nichts geschieht? Daß alles gleichgültig ist? Er muß das zynischste, das ungläubigste, das am meisten angeekelte Wesen im Weltall sein, dieser Gott! Und das unglücklichste!«
»Warum sagen Sie mir das alles?!« rief der Junge wild und sprang von seinem Sessel auf. »Warum haben Sie mich zu sich bestellt?! Warum haben Sie dann den Trockenmietern geholfen? Bloß um mich zu verderben?! Wollen Sie mir meine Hoffnungen nehmen? Ich habe es auch in der Schule gelernt, daß alles eitel ist! Aber das ist was für die Alten, die satt sind! Ich bin jung und ich bin hungrig …« Gerade als er dies in seiner Erregung und Empörung rief, fiel ihm die Gänsebraten essende Dame mit den Pleureusen ein, der Hunger überfiel ihn wie ein Wolf, und sein Magen kullerte ganz laut. Unwillkürlich aus all seiner Erregung heraus mußte der Junge hemmungslos lachen. Er konnte gar nicht wieder aufhören mit Lachen, mit seinem Lachen übertönte er sogar das gierige Kullern des Magens.
Der Rittmeister mußte mitlachen. »Warum lachst du nur,Mensch?« rief er. »Sage mir doch, warum du so lachst, damit ich mitlachen kann!« Aber er lachte schon mit.
Atemlos, immer wieder von krampfhaften Lachanfällen geschüttelt, erzählte ihm der Junge, daß er heute zum ersten Mal kein warmes Mittagessen gehabt hatte und daß es hier in der Wohnung so schön nach Gäsenbraten gerochen habe … »Entenbraten«, verbesserte der Rittmeister. – Und daß, als er eben gerufen habe, er sei jung und hungrig, plötzlich die Vision des Entenbratens vor ihm aufgetaucht sei, daß sein Magen sofort sich gemeldet habe und daß er darüber habe lachen müssen, lachen …
»Siehst du, mein Sohn«, sagte der Rittmeister behaglich. »Ich habe doch den richtigen Riecher gehabt. Du bist weder Rebell noch kaltherziger Streber, denn diese beiden Gattungen haben nie Humor. Du aber hast welchen, und deswegen gefällst du mir. Also sage, was ich für dich tun kann.«
»Warum wollen Sie denn etwas für mich tun?«
»Wie vorsichtig!« rief der Rittmeister und goß sich wieder in seinen Sessel hinein. Der Junge empfand zum ersten Mal wirkliche Sympathie für diesen Mann, weil er gar nicht daran dachte, ihm nun Entenbraten anzubieten. »Mißtrauisch wie ein junges Waldtier, das zum ersten Mal ins Freie tritt und sogar der verlockenden Hafersaat mißtraut. Aber vielleicht hellt es meine Langeweile ein bißchen auf, wenn ich dir auf deinem Wege zur Eroberung Berlins vorwärts helfen kann.«
»Ich bin nicht dazu da, um Ihre Langeweile zu vertreiben!« sagte der Junge störrisch.
»Sehr richtig! Aber vielleicht kannst du deinen Weg machen, ohne dich viel um mich zu kümmern? Ich würde schon auf meine Kosten kommen. So ein Schwätzchen wie heute abend alle Vierteljahre würde mir vollkommen genügen!«
»Ich mag nicht mit Ihnen schwatzen! Ich mag Ihre Art zu schwatzen nicht!«
»Zu gefährlich?«
»Ach was! Ich mag’s einfach nicht – solch ein zynisches Geschwätz! Ich will etwas tun, nicht schwatzen!«
»Und was gedenkst du zu Anfang zu tun? Ich nehme an, daß diese Koksschlepperei nur ein Notbehelf war.«
»Natürlich.«
»Und was tätest du lieber?«
»Am liebsten«, sagte der Junge, »wäre ich Chauffeur von einem erstklassigen Auto!«
»Was?!« rief der Herr von Senden ein wenig enttäuscht. »Das denkst du dir als den Anfang deiner Eroberung Berlins?! Und wie
Weitere Kostenlose Bücher