Ein Mann will nach oben
besänftigt. »Kuck dir lieber an, wat ick heute früh jefunden habe.« Sie zog die Tür zur Stube auf. »So haben se ’n mir jebracht, heißt det. Schon heute früh um vieren. Auf ’m Hof hat er jelegen, toll und voll,der Olle –« Der alte Busch lag auf dem Bett, noch halb in seinen Kleidern. Er sah wirklich ganz greulich aus, zerschlagen und gedunsen, wie ein Leichnam, der aus dem Wasser gezogen ist. »Und denn hat er hier noch anjejeben, jetobt hat der Mann, ick sare dir, Karl! Ick habe Tilda’n bei die Reinsberg bringen müssen, imma hat der Mann uff det Kind losjewollt! – He, Sie, junger Mann!« plötzlich sprach Rieke wieder mit ihrer hellen scharfen Stimme, während sie bis dahin leise und verzweifelt geflüstert hatte. »Det is hier keen Anblick for Sie! Vorläufig jehören Se noch nich zu meine Familie! Machen Se, det Se hier rauskommen.« Und sie schloß die Stubentür mit einem scharfen Ruck vor Kalli Flau. Gleich fuhr sie, ohne allen Übergang, mit ihrer leisen verzweifelten Stimme fort: »Wat mach ick mit dem Mann bloß, Karle? Die Nachbarn saren ja, et is Dilirjum, und ick muß uff de Polizei melden, det der Mann wegkommt in de Trinkerheilstätte.«
»Das wäre vielleicht ganz gut!«
»So? Det sagst du? Du hast doch nich ’n Troppen Vastehste in deinem Kopp, Karle! Und wat mach ick, wenn Vata weg ist? Jloobste, die lassen mir Tilda’n? Jloobste, die lassen mir die Wohnung? Die stecken mir und Tilda’n in’t Waisenhaus! Und denn ist allens futsch, wat ick mir hier zusammenjerackert habe. Det hier alles, det wird vakooft, und denn bin ick een Armenkind! Ha ick det nötig, een Armenkind zu werden?! Wo ick so jeschuftet habe – jeder Jroße hätte den Kram lange hinjeschmissen!«
»Rieke, wir finden bestimmt einen Ausweg. Du sollst nicht in ein Waisenhaus kommen, ich verspreche dir das! Wir müssen eben besser auf Vater aufpassen. Jetzt habe ich mehr Zeit, wir müssen rauskriegen, wer ihm zu trinken gibt.«
»Ja, sare bloß, Karle, wer jibt dem Mann zu trinken? Der Mann is doch keene Jesellschaft nich, det se ihn zu ihrer Unterhaltung mit Schnaps uffüllen! Und alle Tage toll und voll! Ach, Karl«, weinte sie, »verlaß mir bloß nich! Wenn ick dir nich mehr habe, denn hau ick den Kram ooch hin! Denn dreh ick den Jas uff …«
Sie hatte die Arme um seinen Hals geworfen und weinte fassungslos an seiner Brust. Es war ein sehr ungewohntes Gefühl für Karl Siebrecht. Hastig strich er über ihren Scheitel. Es war doch ein schönes Gefühl! Daß er einem Menschen so viel bedeutete, das hatte er noch nicht gekannt in seinem Leben. »Weine doch nicht so, Rieke«, tröstete er. »Ich gehe doch nicht weg von dir! Warum wohl? Das sieht nur alles jetzt so dunkel aus, es wird auch wieder hell.«
»Nie, Karle, nie!« schluchzte sie. »Wir sind hin, Karle, det fühl ick!«
»Aber nein, Rieke! Denke daran, wie kurze Zeit ist es erst her, daß du dich über deine Maschine gefreut hast! Nun ist es dunkler, aber bald wird es wieder hell.«
»Schick den anderen weg, Karle!« bat sie unter Tränen. »Schick ihn bloß weg! Wat soll’n wa denn mit dem?! Det ist doch jenug, wir beede, Karl!«
»Aber, Rieke, warum soll er denn nicht bei uns sein? Das ist doch ein guter Junge, verlaß dich darauf. Warum soll ich denn nicht auch einen Freund haben, der nimmt dir doch nichts weg.«
»Doch, der will dir nur ausnützen – det kenn ick. Du bist so jutmütig, Karle, alle wollen se dir bloß ausnützen. Ick ooch – ick am allerersten –«
Sie weinte immer weiter an seinem Halse, aber schon leiser. »Schick ihn doch weg, Karl!« bat sie noch einmal. »Tu mir den einzigsten Jefallen!«
Ehe Karl Siebrecht diesen neuen Angriff abwehren konnte, klopfte es kräftig an die Tür, und Kallis Stimme rief: »Da ist ein Herr, der Rieke Busch sprechen möchte!«
Mit einem Ruck machte sie sich von seinem Halse los. Mit weit aufgerissenen Augen, geisterbleich, sah sie den Freund an. »Jetzt kommt es, Karl!« flüsterte sie. »Jetzt kommt det Unglück, ich spür et!« Sie bückte sich zu der Waschschüssel und spülte sich das Gesicht ab. »Na, denn man los, Karl! Du hast mir wackeln jesehen, aber det sollen die nich! Immer Forsche in die Brust, wenn’t ooch schwerfällt! Denn komm,Karl, wollen mal hören, wat der Hagedorn will.« Sie hatte es ganz richtig erraten: in der Küche stand Herr Hagedorn, und neben ihm ein junger Mann … »Morjen, Herr Hagedorn«, sagte Rieke. »Det is aber noch nich die Zeit for die nächste
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