Ein Mann will nach oben
Hornochsen waren das! Also nicht Hornochsen – Esel! Nein, gerade Hornochsen, nicht Esel! Nun hatte sich seine anfängliche Bestürzung doch noch in Wut verwandelt. Er biß die Zähne zusammen und zerrte stürmisch am Karren. Eines Tages würden sie es schon einsehen, wie gut er es mit ihnen gemeint hatte, die Sache würde florieren und vielGeld einbringen! Dies war die Gelegenheit, keinen Schritt wich er zurück! Wenn er sich dies entgehen ließ – zehn Jahre konnte es dauern, bis ihm wieder etwas so Gutes einfiel! Überall saßen schon die anderen und verdienten ihr Geld. Dies war seine Lücke, in die er schlüpfen konnte. Sie mochten sich auf den Kopf stellen, sollten sie ihn einen schlechten Freund schimpfen, er schlüpfte hinein. Und er nahm sie mit, er brachte sie mit in die Höhe – sie sollten es schon einsehen, wer ihr wahrer Freund war.
Kurfürstenstraße 86! Hol es der und jener, da war er wirklich vierzehn Häuser zu weit gefahren! Nun, immer noch besser zu weit als nicht weit genug, immer noch besser über das Ziel hinaus, als vor dem Ziel liegengeblieben! Morgen früh Punkt zehn Uhr hielt sein Rollwagen vor dem Stettiner, mit zwei erstklassigen Pferden und mit dem Schild »Berliner Gepäck-Beförderung Siebrecht & Flau«! Er dachte nicht daran, den Namen Flau übermalen zu lassen – die Übelnehmerei von solchen Genossen ging ihn einen Dreck an! Und nun gleich den schwersten Koffer auf den Rücken gewuchtet und über die Dienstbotentreppe in die rittmeisterlichen Bezirke! Das Schwerste immer zuerst, dann wußte man doch, daß es hinterher leichter kam. Als er sich den zweiten Koffer auf den Rücken lud, fühlte er einen Blick auf sich. Da stand der Herr Rittmeister in einem vielfach verschnürten Rauchjackett auf dem Balkon und sah ihm nachdenklich zu. »Wo sind denn deine Freunde geblieben?« fragte er von oben.
»Haben was anderes zu tun!« rief er zurück und ärgerte sich, daß ihn der Rittmeister schon wieder erwischt hatte. Gottlob konnte der aber nicht wissen, wieso die Freunde was anderes zu tun hatten.
»Soll ich dir jemand zur Hilfe runterschicken?« fragte der Rittmeister nun.
»Nein, danke, es geht schon so!«
»Wie du willst«, sagte der Rittmeister ganz freundlich und sah weiter zu, wie Karl sich mit dem Koffer plagte. Zu seinem Ärger ärgerte sich der Junge wieder, daß der Rittmeister tatenloszusah, ihm Hilfe nicht geradezu aufdrängte, obwohl er diese Hilfe abgelehnt hatte und immer weiter ablehnen würde – da kenne sich einer aus!
Als er diesen zweiten Koffer im Schlafzimmer bei der gnädigen Frau absetzte, kam der Herr von Senden auf seinen langen Beinen hereinstolziert, beide Hände in den Taschen, wobei er die Hosen etwas hochzog, so daß man taubengraue seidene Söckchen sah über maisfarbenen Halbschuhen aus Wildleder mit Knöpfen. »Nun, mein Sohn«, sagte er, »Reich lich viel für einen jungen Mann, diese Kofferschlepperei ganz allein, was?«
»Ich schaffe es schon«, sagte Karl Siebrecht und wollte gehen.
Der Rittmeiter winkte ihm ab. »Laß nur, Karl«, sagte er. »Der Portier bringt eben den Rest herauf.« Und zu seiner Frau: »Das ist der junge Mann, Ella, über den dein Bruder so böse war.«
Die Frau schloß einen Augenblick fest den Mund. Dann sagte sie: »Ich habe es mir schon gedacht, Bodo.«
Der Rittmeister lächelte. Aber ehe die Frau noch etwas Weiteres hätte sagen können, fragte er schon: »Der Zwischenfall am Neuen Tor befriedigend verlaufen, Karl? Ihr habt ein bißchen Karambolage gespielt, kommt mir vor.«
»Doch, alles in Ordnung!« antwortete Karl Siebrecht kurz.
Der Rittmeister nickte nur. Nähere Auskünfte schien er nicht erwartet zu haben. Er zog eine aus grünen Perlchen geflochtene Geldbörse aus der Tasche. »Und wie ist die Taxe, mein Sohn!« fragte er.
»Zwei Mark fünfundzwanzig«, sagte der Junge eilig.
»Schade«, meinte der Rittmeister, indem er das Geld abzählte, »daß nicht doch einer von deinen Freunden mitgekommen ist. Ihnen würde ich ein Trinkgeld geben, dir wage ich keines anzubieten.«
»Ich nehme auch Trinkgeld«, sagte der Junge trotzig, »aber nicht von Ihnen!«
Herr von Senden nickte nur. »Genau wie ich gedachthabe«, sagte er ganz ungerührt. »Hier ist dein Geld, Karl, zähle es bitte nach – ich habe keinen Groschen dazugemogelt, um deine Gefühle für mich zu bestechen.« Seine Ironie war einfach ekelhaft. »Auf Wiedersehen, Karl – unter glücklicheren Umständen!« Der Junge hätte ihn schlagen
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