Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
zankte sich, sagte sich die Meinung, und dann vertrug man sich wieder.
    Ganz aufgemuntert und ohne Zorn auf den feinen Freund langte Kalli Flau beim Lehrter Fernbahnhof an. Er suchte den Alten vor und in der Halle, schließlich fand er ihn auf einer Bank in dem schmalen Grünstreifen seitlich des Bahnhofs. Küraß hatte sich da schön in die warme Aprilsonne gesetzt und war friedlich eingedrusselt, erschöpft von den Aufregungen dieses Morgens. Auf seiner runzligen hohen Greisenstirn stand in kleinen Tröpfen ein sanfter Schweiß, seine rote Mütze lag neben ihm. Das blankgeputzte Messingschild »Dienstmann 77« schimmerte hell im Sonnenschein. Kalli setzte sich auf die Bank neben den Alten, auch er nahm die Mütze ab und ließ sich von der Mittagssonne bescheinen. Nach einer Weile fing er an, sich zu langweilen, und in der Langeweile griff er nach der roten Mütze des Alten. Es war eigentlich eine sehr hübsche Mütze. Kalli hätte gern eine solche getragen. Sie hätte das ganze Leben sicherer gemacht und einen festen Verdienst garantiert! Er setzte sich die Mütze auf den Kopf. Sie saß überraschend gut. Sie saß so fest auf seinem mit dicken schwarzen Haaren bedeckten Schädel, als sei sie für ihn gemacht, nicht für den haarlosen mageren alten Schädel dort. Kalli Flau stand auf und ging ein wenig mit der roten Mütze hin und her. Er hätte sich gerne damit gesehen, es war gar nicht ausgeschlossen, daß er eines Tages eine solche rote Mütze tragen durfte. Er konnte schnell zum Kronprinzenuferlaufen und sich in der Spree spiegeln. Aber meistens war das Wasser dreckig und voller Ölflecken, das gab einen schlechten Spiegel für eine so schöne Mütze ab. Dann fiel ihm ein, daß im Wartesaal Spiegel hingen. Er würde dort so tun, als habe er Gepäck zu holen, auf dem Lehrter Bahnhof war er kaum bekannt.
    So schob er denn über den Bahnhofsplatz auf den Bahnhof zu. Er hatte den Bahnhof aber noch nicht erreicht, als ihn ein unglaublich dicker Mann anhielt. »Dienstmann, das ist aber ein Glück, daß ich Sie erwische! Hier, nehmen Sie mein Gepäck! In den D-Zug nach Hamburg. Geht in vier Minuten! Ich hole mir schnell die Fahrkarte! – Zweiter! Raucher! Eckplatz!«
    »Aber –« fing Kalli Flau an. Doch der Dicke war schon entwetzt. Unglaublich schnell lief er, seinen Bauch in der lockeren Hose schaukelnd, über den Platz und verschwand im Bahnhof. »Aber –« hatte Kalli gesagt. Er hatte dem Mann erzählen wollen, daß er gar kein Dienstmann war, daß aber auch ein Dienstmann Gepäck nicht auf den Bahnsteig bringt, sondern nur ein grünjackiger, schwarzmütziger Gepäckträger. Zu alldem war er nicht mehr gekommen, der Dicke war zu schnell gewesen, er hatte es eilig zu seinem Zug … Dies war eben ein verkehrter Tag! Seufzend belud sich Kalli mit beiden Koffern, fest entschlossen, sie in der Halle dem nächsten Gepäckträger zu übergeben.
    Aber in der Halle war kein Gepäckträger zu sehen. Dafür herrschte dort das übliche Hasten und Rennen vor Abfahrt eines großen Fernzuges. Während Kalli sich noch suchend umsah – er dachte kaum noch an die rote Mütze auf seinem Kopfe, sondern nur an die Koffer in seinen Händen, die er gerne losgewesen wäre –, da kam der Dicke schon wieder angeprescht. »Los, los, Dienstmann!« rief er. »Höchste Eisenbahn! Ich denke, Sie haben mir schon längst einen Platz besorgt!« Und er stürzte ihm voran durch die Sperre. Wohl oder übel mußte ihm Kalli folgen. Der Billettmann sah ihn kaum an, warf nur einen flüchtigen Blick auf die rote Mütze. KalliFlau war auf dem Bahnsteig und lief hinter dem Dicken drein, der hurtig am Zuge entlanglief. Der Dicke stürzte in einen Wagen. »Bleiben Sie draußen, Mann, reichen Sie mir die Koffer zum Fenster herein.« Und schon fuhr sein Kopf aus einem Abteilfenster. »Sehen Sie«, strahlte er, »habe ich doch noch einen Eckplatz gekriegt. Das ganze Abteil ist noch leer. Na langen Sie mir mal die Koffer rauf.« Er hob sie mit Ächzen in die Netze, dann warf er einen Blick auf die Bahnhofsuhr. »Gott, was ist das?!« rief er. »Es sind ja noch acht Minuten bis zur Abfahrt! Warum haben Sie mir das nicht gesagt, Mann?! Hätte ich mir die ganze Lauferei erspart!«
    Nun war es zu allen Aufklärungen doch zu spät. »Ich bin bloß ein Dienstmann, Herr«, sagte Kalli Flau. »Ich bin kein Gepäckträger hier vom Bahnhof. Ich weiß nicht, wie die Züge hier gehen!«
    »Natürlich!« lachte der Dicke. »Hätte ich ja auch sehen können, daß Sie

Weitere Kostenlose Bücher