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Ein Mann zum Abheben

Ein Mann zum Abheben

Titel: Ein Mann zum Abheben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Wright
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verschüttet«, erzähle ich dem Portier. »Er muss unbedingt bis morgen um 14 Uhr gereinigt sein.« Allerdings hat mein Mann gar nichts auf seinem Anzug verschüttet. Mein Mann befindet sich dreitausend Meilen von hier entfernt, in einer anderen Zeitzone, und schläft.
    »Stimmt etwas nicht?«, fragt Gerry mich, als er aus dem Badezimmer kommt. »Können sie es nicht machen?«
    »Sie schicken gleich jemanden hoch. Aber er hat mich Mrs Kincaid genannt.«
    Für eine Sekunde verzieht er das Gesicht. »Liebes, das tut mir leid.«
    »Und ich habe darauf reagiert. Ich habe gesagt, mein Mann hätte etwas auf seiner Hose verschüttet.«
    Die Falte zwischen den Augenbrauen hat er immer. Es ist sein Job, ständig in Sorge zu sein, und ich habe diese Falte den ganzen Nachmittag lang gesehen, während er über Hedgefonds und Unternehmensaufkäufe und fehlgeschlagene Leerverkäufe gesprochen hat. Jetzt vertieft sie sich.
    »Was erwartest du von mir?« Und ohne meine Antwort abzuwarten, küsst er mich. Ein Kuss wie in einem alten Spielfilm. Er drängt mich an die Wand, das gefällt ihm, diese Romantik aus dem Zweiten Weltkrieg, wenn ein Mann eine Frau an eine Wand drückt, aber es dauert nie lang. Fast augenblicklich knicke ich in den Knien ein und rutsche hinunter. Ich sehne mich nach dem Boden, nach solider Härte unter mir, und wieder einmal bin ich dankbar, dass ich kein Mann bin und niemand von mir erwartet, dass ich mein
eigenes Gewicht abfedere, geschweige denn das Gewicht eines anderen Menschen.
    Manchmal gleiten wir gemeinsam so hinunter, bis wir aufeinander am Boden liegen. Wir lagen in New York auf dem Boden und in Miami, doch heute Abend hält er mich auf, bevor ich ganz zusammenbreche, und transportiert mich zum Bett, indem er mich teilweise trägt, überwiegend aber hinter sich her zerrt. Er erwischt mit seinen Zähnen meine Unterlippe und saugt mich ein. Es ist nicht immer angenehm, dass er mein Fleisch gerade an der dünnsten und verletzlichsten Stelle zu durchlöchern scheint.
    Der Kuss tut weh. Ich gebe einen Laut von mir. Er lässt los. Dann öffnen sich unsere Lippen, unsere Zungenspitzen berühren sich kaum. Wir liegen ganz still, und mir kommt der Gedanke, dass das wahrscheinlich ein günstiger Augenblick wäre, um zu sterben. Es klopft an die Tür. Gerry rollt von mir herunter.
    »Gib ihnen die Hose«, sagt er. »Und dann komm zurück, denn die Lage ist aussichtslos, und ich will dich die ganze Nacht küssen.«

Kapitel 30
    »Ich weiß nicht, warum sie sich unbedingt erniedrigen will«, flüstert Nancy.
    »Es ist äußerst eigenartig«, stimmt ihr Kelly mit einem Blick den Flur der Sonntagsschule hinunter zu, wo Lynn eben in einem der Arbeitsräume verschwindet. »Ich rechne damit, eines Tages aufzutauchen und sehen zu müssen, wie sie den Müllcontainer abspritzt. Meint ihr, dass sie - ich weiß nicht, dass sie sich für etwas bestraft?«
    Die Frage richtet sich an mich. Erinnerungen an Kelly in der Abtreibungsklinik und an mich mit Handschellen an mein Ehebett gefesselt blitzen in mir auf. Frauen bestrafen sich die ganze Zeit, und zwar für Verbrechen, die nur sie sehen können, aber ich glaube nicht, das Lynn das im Moment macht.
    »Sie versucht nur, ihre Arbeit zu erledigen.« Meine Bemerkung klingt nicht überzeugend, selbst für mich nicht.
    »Sie hat selbst entschieden, wie ihre Arbeit aussehen soll«, betont Nancy. »Die Anweisung des Kirchengemeinderats war sehr vage gehalten. Keiner hat von ihr erwartet, dass sie den ganzen Flügel der Sonntagsschule selbst streicht.«
    »Kommt sie mit uns zum Mittagessen?«, will Belinda wissen. »Hat überhaupt jemand daran gedacht, sie zu fragen?«

    »O Gott«, sagt Kelly.
    »Sie gibt uns seit Monaten immer wieder einen Korb«, wirft Nancy ein.
    Dennoch ist es das erste Mal, dass keine daran gedacht hat, sie zu fragen.
    Lynn kommt aus dem Arbeitsraum, eine Leiter auf der Schulter balancierend, und wir schauen schweigend zu, wie sie den Flur entlang auf uns zukommt. »Ich bin in der dritten Klasse«, ruft sie vergnügt. »Was haltet ihr von den Farben?«
    »Ich nehme an, du willst nicht mit uns zum Mittagessen kommen, oder?«, ruft Belinda zurück.
    Die Situation ist unbeschreiblich peinlich. Lynn stellt die Leiter ab und sagt sehr ruhig: »Ich bin heute nicht entsprechend gekleidet.«
    Kein Witz. Sie trägt einen ausgebeulten weißen Overall, der voller Spritzer in allen Farben dieser Räume ist, was so skurril aussieht, dass ich mir einen Augenblick

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