Ein Mann zum Abheben
Zeigefinger seine Brille hoch. »Ich habe gedacht, du telefonierst.«
»Du fragst mich doch immer, warum ich unglücklich bin. Jetzt frage ich dich: Warum bist du nicht unglücklich?«
»Muss das jetzt sein?«
»Im Ernst.«
»Schau dich um. Wir führen ein gutes Leben. Wir haben …«
»Ja, ich weiß. Wir haben Tory und das Haus und unsere Freunde und unsere Gesundheit.«
»Und wir haben uns.«
»Wir reden nicht miteinander.«
»Ich habe den Eindruck, wir reden die ganze Zeit miteinander.«
»Aber wir empfinden keine Freude.«
»Tja, da hast du mich kalt erwischt. Aber ich glaube nicht, dass du unglücklich bist, weil wir keine Freude empfinden. Ich glaube, dass wir keine Freude empfinden, weil du unglücklich bist. Das hier könnte uns Freude machen. Hier und jetzt. Das. Die Veranda, die Maiskolben und die Steaks.«
Irgendwie hat er Recht. Ich starre auf den Fernsehschirm. Montgomery Clift legt Elizabeth Taylor den Arm um die Schultern.
»Du übertreibst es«, sagt Phil. »Du willst zu viel.«
»Ich verstehe nicht, warum du nicht mehr willst.«
»Ich will mehr. Ich will Frieden.«
Frieden. Er geht wieder hinaus auf die Veranda. Das Tablett mit Fleisch hat er vergessen, und ich lege das Telefon, dessen Leitung tot ist, auf und bringe ihm das Tablett. Er nimmt es mir ab, und für eine Sekunde bleiben wir beide schweigend stehen, um Tory im Garten zu beobachten. Sie gräbt. Vor ein paar Wochen hat er ihr Gartenwerkzeug für Kinder gekauft, damit sie ihm bei der Gartengestaltung helfen kann, jetzt konzentriert sie sich heftig darauf und stößt mit ihrem rosafarbenen Plastikspaten immer wieder in den Boden rund um die Hortensien. Phil macht eine halbe Armbewegung in ihre Richtung, lässt den Arm aber wieder sinken. Unsere Blicke begegnen sich nicht. Ich gehe ins Haus zurück und fange an, die Geschirrspülmaschine auszuräumen. Dann geschieht etwas Seltsames.
Ich stelle die Messer immer mit der Spitze nach unten hinein. Phil denkt vielleicht, ich übertreibe, aber die Wahrheit ist, dass ich ein Gewohnheitsmensch bin, vorsichtig und
voller Rituale. Die Messer ordne ich immer in der gleichen Weise an, aber als ich heute Abend in den Besteckkorb greife, zeigt ein einzelnes Schälmesser mit der Spitze nach oben. Hat ein anderer es hineingetan? Nein, ich bin grundsätzlich die Einzige, die den Geschirrspüler einräumt. Ein einzelnes Schälmesser, das entgegen aller Gewohnheit mit der Spitze nach oben zurückgelassen wurde. Ich lange hinein, um es herauszuholen, und schneide mich. Die Klinge bohrt sich in meine Handfläche.
Eine Sekunde lang tut es nicht weh, blutet nicht einmal, doch dann ist der Schlitz nicht mehr zu sehen von all dem Blut, das herausquillt, sich in meiner Handfläche sammelt und mein Handgelenk hinunterläuft. Ich habe mich geschnitten, und das vermutlich übel.
Ich könnte schreien. Ich könnte um Hilfe rufen. Ich könnte auf die Veranda hinausgehen und meinem Mann die Handfläche hinhalten. Ich könnte ihm mein Wundmal zeigen, und ich weiß, dass Phil es säubern und verbinden und mir sagen würde, dass nichts jemals so schlimm ist, wie es aussieht. In solchen Situationen ist er gut. Gütig, gelassen, methodisch. Ein Mann, der so gütig ist, dass er noch immer einen Tag pro Monat der Freien Klinik schenkt. Ein Mann, der an Torys Schule geht und über Mundhygiene spricht, der Zahnbürsten und Zahnseide verteilt und den Kindern eine Art Rap beibringt, den er über Karies geschrieben hat. Mir ist schwindlig, ich stehe auf unsicheren Beinen. Meine Hand scheint über einen eigenen Pulsschlag zu verfügen, und kleine graue Pantoffeltierchen schwimmen mir vor den Augen. Ich wickle ein Handtuch um mein Handgelenk und schließe die Augen. Atme ein und langsam aus, unterdrücke die aufsteigende Panik in meiner Kehle.
Sekunden vergehen. Es sieht nicht so aus, als würde ich umkippen. Ich mache die Augen wieder auf und gehe zu
meiner Handtasche, die auf dem Küchentisch liegt, wo ich sie immer ablege, weil ich eine Ehefrau und eine Mutter und ein Gewohnheitsmensch bin, der seine Handtasche immer an derselben Stelle ablegt. Während ich hier stehe und einen Blick aus dem Küchenfenster werfe, kann ich meinen Mann und meine Tochter sehen. Sie hat ihm etwas gebracht, das sie ihm zeigen will - vielleicht eine Raupe, denn die sind ihre Lieblinge, oder vielleicht ein schönes Blatt oder einen schönen Stein.
Ich spüre den vertrauten Stich, den ich immer spüre, wenn ich Phil mit Tory beobachte. Er
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