Ein Mann zum Abheben
gesehen.
»Natürlich weiß ich, was mit den Kindern passiert«, sage ich ihm. »Das ist das Einzige, was mich hier noch hält.« Es ist eine kleine Lüge, aber eine, die meiner Ansicht nach Jeff zum Schweigen bringen müsste. Ich traue ihm glatt zu, dass er die Brille zum Schein trägt. Jeff besitzt eine Menge Requisiten.
»Ich weiß nicht, Elyse, du wirkst so …«Jeff zögert, sucht nach einem Wort.
»Wütend? Stur?«
»Tja, natürlich bist du wütend und stur, aber in dir geht noch etwas anderes vor.«
»Glaubst du, dass ich Angst habe? Du denkst wie Phil, denkst, dass ich zwar diese wilden Ankündigungen vom Stapel lasse, aber wenn es ernst wird, zu viel Angst habe, um zu gehen und mein eigenes Leben zu führen. Du hältst mich einfach nur für die Frau eines Zahnarztes, die mit zwanzig Dollar im Geldbeutel in einem Vierhunderttausend-Dollar-Haus lebt und große Sprüche macht, aber nicht die Mittel hat, das Ganze durchzuziehen.«
Jeff rutscht auf seinem Stuhl herum und schiebt die Bibel auf seinem Tisch zurecht. Ob es sich wohl um eine unbewusste Geste oder eher um eine kleine Drohung handelt? Phil hat hier das Rennen gemacht, er hat die Wände geradezu mit seiner Sicht der Dinge tapeziert. Es ist sehr schwer zu
beweisen, dass du nicht verrückt bist, dass du nicht egoistisch bist. Es ist fast unmöglich zu beweisen, dass du nicht paranoid bist. Egal was ich sage, Jeff - oder vielmehr alle, wirklich der ganze Kreis - wird versuchen, mich zurückzuholen. Meine Gründe werden nie gut genug sein. Meine Erklärungen werden nie ankommen. Mir wird nur ein einziger Weg erlaubt sein, diese Ehe zu verlassen - der über die Bahre.
»Was ist mit deiner Hand passiert?«
»Was?«
»Deine Hand, warum ist sie verbunden?«
»Phil hat mich beschuldigt zu übertreiben, also habe ich mir ein Messer in die Handfläche gebohrt.«
Auf Jeffs Gesicht liegt ein seltsamer Ausdruck, und wir sitzen lange schweigend da, bis er endlich etwas sagt: »Die Ehe ist etwas Komisches, oder?«
»Urkomisch.« Ich starre auf das Kreuz hinter seinem Kopf und beiße mir auf die Unterlippe. Aus irgendeinem Grund ist er der Letzte, vor dem ich weinen möchte.
Als ich von Jeffs Büro aus den Flur hinuntergehe, sehe ich Lynn im Innenhof stehen und mit einem Mann reden, der ein Klemmbrett in der Hand hält. Offenbar hat sich die Kirchengemeinde entschlossen, mit den Renovierungsarbeiten weiterzumachen, und sie hat die Aufgabe übernommen, die Kostenvoranschläge einzuholen. Sie trägt ein hellrosa Kostüm, eine Chanel-Imitation, und wirkt für diesen Anlass lächerlich overdressed. Ihre Haare sind zu einem ordentlichen kurzen Bob geföhnt, und sie sieht in dem Kostüm und mit den geschmackvollen Accessoires gut aus, sie wirkt schlank. Ihrem Gewicht scheint es nicht geschadet zu haben, dass sie nicht mehr mit uns walkt. Lynn ist schon immer diszipliniert gewesen. Wenn wir mit dem Literaturkreis
zum Essen gingen, bestellte sie sich nur eine Vorspeise und behauptete steif und fest, satt zu sein.
Ich winke ihr zu, habe aber das Gefühl, dass das nicht okay ist. Sie versucht, professionell zu sein. Sie versucht, sich mit ihrem neuen Job vertraut zu machen. Was sie absolut nicht braucht, ist, dass ich bei ihr herumhänge.
Gerry bittet mich, ihm einen Augenblick Zeit zu lassen, dann wird er mich zurückrufen. Als er »einen Augenblick« sagt, wird mir mulmig. Es war ein Fehler, ihn anzurufen. Er ruft mich an, nicht ich ihn. Vielleicht hält er mich für aufdringlich. Vielleicht meint er, bereits in der Falle zu sitzen. Aber ich fahre trotzdem zum Einkaufszentrum und schwenke zum anderen Ende des Parkplatzes ein, in den Abschnitt, der sich nur in der Weihnachtszeit füllt. Kaum bin ich ein paar Sekunden da, klingelt das Handy.
»Entschuldige. Ich musste erst einen leeren Sitzungsraum finden.«
»Ich komme gerade aus einer Sitzung bei der Eheberatung. Diesmal hat sie nur zwischen Jeff und mir stattgefunden.«
»War er gemein zu dir?«
»Nein, das ist das Schlimme daran, er war nett.«
»Ich muss dir etwas sagen. Lach mich nicht aus.«
Ich kichere bereits. »Was?«
»Ich bekomme einen Ständer, wenn ich deine Nummer wähle.«
»Nein, tust du nicht«, widerspreche ich, obwohl mich der Gedanke total glücklich macht. Ich lächle das Lenkrad an.
»Ich schwör’s. Ich bin wie der Pawlow’sche Hund. Ich drücke die 704 und krieg einen Harten. Wo bist du?«
»Auf dem Parkplatz vom Einkaufszentrum. Am anderen Ende, dort wo sie bei Sears
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