Ein Mann zum Abheben
er es ironisch meint. Wir schreiben uns jeden Tag Mails, und gerade eben verbrachten wir eine halbe Stunde am Telefon, während der wir in erster Linie über seine Frau gesprochen haben. Nicht darüber, wie schrecklich sie ist. Nicht darüber, auf welche Art er sie verlassen wird. Sondern darüber, wie sehr sie und ich uns ähneln, zumindest wenn wir aufgestanden und angezogen sind und herumlaufen. Sie heißt Susan, und er behauptet, sie würde wunderbar in den Literaturkreis passen, gerne mit uns über den Schulsportplatz walken und anschließend mit Kelly und mir Kaffee trinken.
»Du würdest sie mögen«, sagt Gerry, und es gibt keinen Grund zu glauben, dass ich es nicht tun würde. »Aber sie ist sexuell eine gebrochene Frau«, fügt er hinzu, und ich drücke ihm murmelnd mein Mitgefühl aus, obwohl das vermutlich genau das ist, was Phil von mir behauptet.
»Miami ist gut«, sage ich. »Miami in zwei Wochen.«
»Und ich werde dich beherrschen.«
»Weißt du, was Kelly gesagt hat? Wir sind wie Kinder in einem Süßwarengeschäft. Wir ergreifen mit beiden Händen alles, was wir sehen.«
»Kelly hat Recht.«
»Findest du es nicht komisch, dass wir so schnell pervers werden?«
»Das ist nicht so pervers.«
Ich bin beleidigt. »Für mich schon.«
»Klar. Ich denke auch, dass es pervers ist. Es war ein halbherziger Versuch, dich zu beruhigen. Versprich mir, dass du mir sagst, wenn es für dich zu viel wird.«
»Ich sage dir alles«, erwidere ich flapsig, doch sobald es mir über die Lippen kommt, wird mir bewusst, dass es stimmt.
Wenn ich vorbeifahre, werfe ich immer einen Blick zur Kirche hinüber, und heute Nachmittag entdecke ich Lynn, die etwas über den Parkplatz zerrt. Ich drehe bei und kurble mein Fenster herunter, um sie zu fragen, ob sie zurechtkommt.
»Mir geht es gut. Das sind nur Abdeckplanen vom Baumarkt. Sie sind sperrig, aber nicht schwer.«
»Du streichst?«, frage ich ziemlich dämlich.
Sie lässt die Planen fallen und streicht sich mit dem Handrücken die Haare aus dem Gesicht. »Du ahnst gar nicht, mit was für Kostenvoranschlägen diese Knaben angerückt sind. Absolut unverschämt. Ich habe mich entschieden, einen Teil der Arbeit selber zu machen. Wenigstens den Flügel der Sonntagsschule.«
»Ich glaube nicht, dass jemand …«
»Erwartet, dass ich wirklich etwas arbeite?«
Es fühlt sich an, als hätte sie mir eine gescheuert, und ich nehme an, dass man das sieht, denn sie schaut zu Boden und tippt die Planen mit dem Fuß an. Sie trägt Absätze. Lynn ist die Einzige, die im Baumarkt Absätze trägt.
»Tut mir leid, es war ein langer Tag.«
»Soll ich dir helfen?«
»Bist du nicht mit dem Fahrdienst dran?«
»Ich meine, kann ich dir helfen, wenn du mit dem Streichen anfängst?«
»Das ist nicht deine Aufgabe.«
»Ich würde es gerne machen. Wir kommen überhaupt nicht mehr dazu, miteinander zu reden.«
»Ich sehe dein Auto ziemlich oft hier.«
»Ich mache bei Jeff eine Beratung. Du musst nicht so tun, als würdest du das nicht wissen.«
Jetzt lächelt sie zum ersten Mal. »Was für eine Beratung?«
»Eheberatung.«
Lynn beugt sich nach unten und packt wieder die Planen. »Es wäre schön, ein bisschen Hilfe zu haben.«
Kapitel 18
Anfang Dezember lässt Nancy sich die Haare schneiden wie ich. Sie trägt auch meinen leuchtend roten Lippenstift, worauf mich Kelly fröhlich hinweist, als wir an der Bahn ankommen, um unsere vier Meilen zu absolvieren.
»Demnächst tauscht sie den Volvo gegen einen Mini Cooper aus, wetten?« Kelly packt mich von hinten an der Taille und flüstert mir ins Ohr. »Sie kann nicht anders. Sie wünscht sich so sehr, du zu sein.«
Ich schüttle den Kopf. Das wünscht sie sich nicht.
Heute steht das Krippenspiel auf unserem Besprechungsplan. Nach drei aufeinanderfolgenden Spielzeiten mit Krippe und den Heiligen Drei Königen sagte ich dieses Jahr ab, und Nancy war bereit, die Leitung zu übernehmen. Während wir walken, fragt sie mich, was ich mit den Strohballen und Engelsflügeln vom letztjährigen Krippenspiel gemacht hätte, und will wissen, wie ich den beweglichen Stern von Bethlehem gebastelt hätte. Vergangenes Jahr führte er die Heiligen Drei Könige den Mittelgang hinunter. Es war ein voller Erfolg - mehrere Leute kamen anschließend zu mir und versicherten mir, es sei das beste Krippenspiel gewesen, das die Kirche je erlebt habe. Nancy kann das nicht ganz zugeben, es ärgert sie maßlos, dass mir etwas eingefallen ist, worauf
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