Ein Mensch namens Jesus
Und Hezechäus hat daraufhin den Rat benachrichtigt, nicht wahr?«
Abermals nickte Jokanaan.
»Und zur Stunde tagt der Rat und schickt dich, mich zu holen?«
»Bevor wir gehen, sag mir, versprich mir feierlich, daß du kein Magier bist!«
»Woher soll ich das wissen?« gab Jesus ärgerlich zurück. »Ich bin Magiern begegnet, konnte mir aber nur über ihre Reden ein Urteil bilden, nicht über die Mächte, deren Vermittler sie zu sein schienen.«
»Und du, welche Mächte vertrittst du?« fragte Jokanaan, dessen Unruhe von Sekunde zu Sekunde wuchs.
»Ich weiß nicht, ob ich überhaupt eine Macht vertrete, und wenn wirklich, so glaube ich nicht, ein Vermittler des Bösen zu sein. Laß uns jetzt gehen!«
Als sie sich dem Versammlungssaal näherten, überholte Jesus Jokanaan, um als erster den Raum zu betreten. Ohne eine Gefühlsregung zu zeigen, blickte er die zwölf Männer der Reihe nach an. Schon wieder soll ich beurteilt werden, dachte er bei sich. Ständig werden Urteile gefallt und Prüfungen abgehalten, immer gibt es Richter und Prüfer, Gegenrichter und Gegenprüfer, und alle sind sie gleich! »Jesus«, begann der Meister, »wir sind hier zusammengekommen, um eine sehr ernste Angelegenheit zu untersuchen, die dich betrifft. Heute vormittag berichtete uns dein Zimmergefährte, der Novize Elifas, daß du dich vergangene Nacht in die Luft erhoben hast. Wünschst du, daß wir Elifas als Zeugen aussagen lassen?«
»Nein. Er hat die Wahrheit gesagt.«
»Wir haben Anlaß zur Vermutung, daß sich dieses Wunder in den vergangenen Wochen mehrmals ereignet hat. Stimmt das?«
»Es stimmt.«
»Wir würden gern wissen, wie du dieses Wunder vollbringst.«
Alle beugten sich in Erwartung einer Antwort gespannt vor. Schweiß perlte auf Jokanaans Stirn.
»Ich vollbringe dieses Wunder, wie ihr es nennt, nicht willentlich.« Sie sperrten ihre Augen weit auf.
»Ich kann es nicht herbeiführen, selbst wenn ich wollte.«
Einige Ratsmitglieder zogen lange Gesichter.
»Es geschieht nur, wenn ich bete. Das ist alles, was ich weiß.«
»Der Herr?« flüsterte der Meister.
»Wer sonst?« Jesus blickte auf die Steinplatten des Fußbodens. »Es handelt sich dabei weniger um Gebete, die ich aufsage, als vielmehr um Versenkung.«
»Um Versenkung?« wiederholte der Meister fragend.
»Um ein Bemühen, wie soll ich sagen, ein Bemühen, mit Gott in Einklang zu kommen.«
Ungläubige Blicke.
»Wir alle beten, und wir versenken uns auch. Aber noch nie hat einer von uns vom Boden abgehoben«, gab der Meister zu bedenken. »Vielleicht bedienst du dich einer... einer ganz besonderen Methode?« forschte Ebenezer nach.
»Wo hätte ich sie denn erlernen sollen? Ich kann einzig und allein sagen, daß ich nur dann vom Boden abhebe, wenn meine Versenkung einen bestimmten Grad an Intensität erreicht hat.«
»Einen bestimmten Grad an Intensität«, wiederholte der Meister. »Wenn ich mich gänzlich vergesse, den Herrn um nichts bitte, und wenn die Worte aus meinem Kopf entschwinden.«
»Wie können die Worte aus dem Kopf entschwinden, vom Zustand des Schlafes einmal abgesehen?« erkundigte sich der Meister.
»Wenn man sich bemüht, nur an den Herrn zu denken, lösen sich die Worte in nichts auf, und der Körper ebenfalls.«
»Was soll das heißen, der Körper ebenfalls?« fragte Ebenezer.
»Ja, auch der Körper wird völlig leer«, wiederholte Jesus. »Er kühlt ab. Die Atmung verlangsamt sich. Man ist nicht mehr in sich.«
Die Ratsmitglieder gerieten zunehmend außer Fassung.
»In der Nacht, wenn die Verdauungsorgane zu Ruhe gekommen sind, tritt es eher ein«, fügte Jesus hinzu.
»Nimmst du die Atmung zu Hilfe, um auf dieses Wunder hinzuwirken?« wollte der Meister wissen.
»Nein. Ich habe schon betont, daß ich das, was ihr ein Wunder nennt, nicht willentlich hervorrufen kann. Mir kam jedoch zu Ohren, daß manche Menschen tatsächlich mit Hilfe ihrer Atmung den Körper zum Schweben bringen.«
»Manche Menschen?« hakte Matthias nach.
»Schüler von Magiern.«
»Bist du einem Magier begegnet?«
»Ja, Dositheus.«
»Hat er dich etwas gelehrt?«
»Nein, nichts.«
»Ist dir schon jemals in den Sinn gekommen, daß dein... Schweben ein Werk des Teufels sein könnte?« fragte der Meister.
»Warum sollte der Teufel im Spiel sein, wenn ich Gott im Gebet an-
rufe?«
»Aber es ist doch bekannt, daß sich der Teufel gern an einen betenden Gläubigen heranschleicht«, wandte Efraim ein. »Wie willst du denn wissen, daß nicht er
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