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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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alle Ewigkeit. Jedes Haar an ihrem Körper war trocken wie Stroh, leicht hätten sie Feuer gefangen.
    »Ich schlage vor, die Sitzung zu vertagen«, verkündete Ebenezer, aber im wachsenden Durcheinander ging sein Vorschlag vollkommen unter.
    »So also empfangen sie den Messias«, murmelte Jokanaan.
    Sie fragten, ob sie wohl weiter ihre Bücher abschreiben sollten, ob es noch nötig sei, die Ernte einzubringen, ob es nicht angebracht sei, die ganze Gemeinschaft zu versammeln. All das riefen sie wirr durcheinander, ohne Jesus auch nur eines Blickes — es sei denn eines verstohlenen, ja beinahe feindseligen — zu würdigen.
    »Du kannst nun gehen«, wies ihn der Meister an.
    Aber Jesus rührte sich nicht von der Stelle. Das Oberhaupt des Rates wiederholte seinen Befehl, er kam ihm noch immer nicht nach. Er besah sich diese Versammlung kopfloser Greise und hielt mit seiner Verachtung nicht mehr hinter dem Berg.
    »Was willst du noch?« schrie der Meister, den diese Unverfrorenheit äußerst beunruhigte.
    Sie standen auf dem Podium und behandelten den, den sie für den Messias hielten, wie einen Räuber, der sie mit seinem Dolch bedrohte.
    »Ich will euch nur sagen, daß das Wort Gottes lebt und sich nicht in euren Schriftrollen versteckt hält«, verkündete Jesus herausfordernd. »Ich möchte auch sagen, daß ihr gar nicht wissen könnt, ob die Welt bald zu Ende geht, denn die Absichten des Herrn sind euch verborgen. Und außerdem muß ich euch Vorhalten, daß euch das Wohlergehen eures Volkes vollkommen gleichgültig ist.« Mit vor Wut bebender Stimme schloß er: »Qumran ist sinnlos!«
    »Unverschämt!« schrie der Meister.
    »Wenn ihr dem, der vielleicht euer Messias ist, schon einen solchen Empfang bereitet, wie werdet ihr dann erst dem gegenübertreten, der ihn gesandt hat!« Jesus kehrte ihnen den Rücken und schritt zur Tür.
    Bis zu jener gelben Felswand ging er, von der aus man einen guten Blick über den Küstenstreifen des Toten Meeres hatte. Ein Stück indigoblauen Himmels schien zu zerbröckeln und als tiefblaue Lapislazulisteinchen in die schwarzen Fluten zu tröpfeln. Das tote Wasser trank diese Himmelstropfen, und die Nacht brach herein. Da vernahm er mit einem Male Schritte hinter sich, und er wußte sofort, daß es Jokanaan war.
    »Wie tot dieses Land ist«, murmelte er. »Wie verhaßt muß einem das Leben sein, um sich hier niederzulassen!«
    »Du mußt die Gegend sofort verlassen«, sagte Jokanaan, während er ein Säckchen und den Wanderstab neben Jesus legte. »Ich habe dir ein wenig zu essen und zu trinken eingepackt.«
    Jesus nickte.
    »Ich gehe morgen fort von hier«, fügte Jokanaan hinzu. Was sollte nur aus ihm werden, fern jener Zitadelle, der er die besten Jahre seiner Jugend geopfert hatte?
    »Ach, diese Schriftgelehrten!« seufzte Jesus und zuckte mit den Achseln.
    »Du bist wie eine Fackel in der Nacht«, sagte Jokanaan. »Du leuchtest und bringst alles an den Tag.«
    Jesus erhob sich und legte seinem Vetter die Hände auf die Schultern. Dieser erschauerte nicht, sondern tat das gleiche.
    »Wir werden uns wiederfinden«, meinte Jesus. »Es ist gar nicht möglich, daß wir uns nicht mehr begegnen; nun ist es nicht mehr möglich.« Er machte sich auf den Weg.
    Einmal noch drehte er sich nach Jokanaan um, dessen einsame Gestalt sich von der Felswand abhob. Der Mond ging auf. Er glich einem Loch in einer dunklen Wand, hinter der helles Licht erstrahlte.
     

XXI.
     
    Eine Idee des Tiberius
     
    Der Prokurator Ambivius hatte sich in Palästina eine Krankheit zugezogen, die sein Arzt »flottes Fieber« nannte, weil sie seine Gedärme gehörig durchräumte. Seit seiner Rückkehr nach Rom mußte er nun mit einem Brechmittel versetzte Tonkügelchen schlucken, eine Behandlungsmethode, die ihn kaum mehr zu Atem kommen ließ. Zur Erholung schickte ihn der Arzt auf eine Badekur nach Baiae und schärfte ihm ein, nur ja nichts anderes als verdünnten Wein oder Essigwasser zu trinken. Schon einen Tag nach des Prokurators Eintreffen in der Villa des Prätors Claudius Antias meldeten die kaiserlichen Kundschafter Tiberius, daß sich Ambivius nahe bei Neapolis aufhielt, ja, sie unterrichteten ihn sogar über den Grund dieses Aufenthalts. Der Cäsar bestellte den Prokurator aus den Kolonien sogleich zu sich, und diesem ließ der Ruf keine Ruhe mehr, bis ihn sein Schiff auf Capri an Land gesetzt hatte und er die in Fels gehauene Treppe zum kaiserlichen Wohnsitz emporgeeilt war, um den Gesichtsausdruck

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