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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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es ist, der dich in die Höhe schweben läßt, während du betest?«
    »Vielleicht läßt er mich emporschweben, aber das Licht des Herrn läßt er mich gewiß nicht schauen.«
    »Du erblickst das Licht des Herrn, wenn du betest?« fragte der Meister. Fast überschlug sich dabei seine Stimme.
    »Ja, die Schatten der Nacht verschwinden völlig in einem Licht, das heller leuchtet als die Strahlen der Sonne.«
    »Und weiter?«
    »Mein Körper, der ja Materie ist, hebt nur ein kleines Stück vom Boden ab, aber meine Seele entschwebt in unendlich größere Höhen.«
    »Wie hoch steigen sie, Körper und Seele?«
    »Mein Körper schwebt meistens nicht höher als in Knie-, manchmal auch in Hüfthöhe, aber meine Seele steigt wie ein Drachen hoch in den Himmel. Aus unermeßlichen Höhen blicke ich dann auf die Erde nieder, und auch in Gedanken bin ich weit fort von ihr, da ich ganz dem Herrn zugewandt bin.«
    Ebenezer beugte sich zu seinem Nachbarn hinüber, um leise mit ihm zu sprechen.
    Der Meister wischte sich mit der Hand über die Stirn und forschte weiter: »Du hast eben gesagt, dein Körper schwebe meistens nicht höher als in Knie- oder Hüfthöhe. Steigt er hin und wieder auch höher?«
    »Ja. Einmal wurde ich so weit emporgetragen, daß mein Kopf an die Zimmerdecke stieß.«
    »Wie erklärst du dir diese Unterschiede?«
    »Ich bin nicht immer in derselben Verfassung; manchmal strömt mehr, manchmal weniger vom Odem des Herrn in mich ein.«
    »Und was geschieht, wenn deine Seele emporsteigt?«
    »Wenn man über den Olivenbäumen schwebt, wird ein Heulen und Schreien vernehmbar. Meiner Meinung nach werden jene Laute von Dämonen oder aber auch von gequälten Geistern ausgestoßen. Dann bemühe ich mich, meine Angst zu überwinden und höher zu steigen, indem ich mich dem Herrn zuwende.«
    »Dich überkommt also Angst in dieser Höhe?« fragte der Meister. »Ja. Wenn mein Glaube und mein Vorsatz schwächer würden, liefe ich sicher große Gefahr, von den Winden des Bösen, die in den unteren Sphären wehen, fortgerissen zu werden. Vielleicht müßte ich sogar sterben.«
    »Woher weißt du das?«
    »Da oben wird einem manches klar.«
    Der Rat verharrte eine Weile in nachdenklichem Schweigen, dann fragte Ebenezer weiter: »Du glaubst also, daß die Dämonen in den niederen Regionen hausen?«
    »Ich vermute, daß es sich um Dämonen handelt. Ihr Klagen, Pfeifen und Heulen klingt schauerlich.«
    Jesus begann leise zu stöhnen, ein kontinuierlicher Wimmerton drang aus seiner Kehle, ein Ton, der zu wildem Gebrüll anschwoll und sich in unerträglich schrillen, den Wehlauten eines rasenden, verletzten Tieres recht ähnlichen Schreien brach. »So ungefähr klingt das«, meinte er, nachdem er wieder verstummt war.
    Die Mitglieder des Rates waren leichenblaß. Auch aus Jokanaans Gesicht war jegliche Farbe gewichen.
    Wie kleinmütig diese Leute doch sind! ging es Jesus durch den Kopf. Als sie sich wieder gefaßt hatten, räusperten sie sich und rutschten unbehaglich auf ihren Sitzen hin und her. Er glaubte das Verhör damit beendet.
    »Wie kommt es«, erkundigte sich jedoch nochmals der Meister, »daß dieses... Wunder nicht während unserer Gebetsstunden am Tag geschieht?«
    »Sie sind zu kurz«, erwiderte Jesus.
    Matthias stand auf, um aus dem Tonkrug zu trinken, der, zur Kühlung in ein feuchtes Leinentuch gehüllt, auf dem Fensterbrett stand. Andere Ratsmitglieder baten ihn, den Krug weiterzureichen.
    »Weißt du, ob du noch andere Wunder vollbringen kannst?« wollte der Meister wissen, nachdem er getrunken und sich den Bart abgewischt hatte.
    Jesus zögerte einen Augenblick und meinte dann: »Es scheint, daß ich ein Feuer zum Erlöschen bringen kann, indem ich die Hände über die Flammen halte. Ein Eremit hat mich darauf aufmerksam gemacht.«
    »Laß uns ein Feuerbecken bringen!« wies der Meister Jokanaan an. Dann sagte er, zu Jesus gewandt: »Welcher Eremit?«
    »Er hieß Obed.«
    »Obed!« rief der Meister und wandte sich den übrigen Versammelten zu: »Sollte es sich womöglich um jenen Novizen handeln, der vor zwei Jahren spurlos verschwunden ist?«
    »Das ist gut möglich«, entgegnete Jesus. »Er kannte Qumran.«
    Kurze Zeit später brachte Hezechäus ein Feuerbecken mit glühenden Kohlen in den Saal, auf die er kleine Holzscheite warf. Mit einem Fächer aus Raubvogelfedern fachte er das Feuer an. Flammen züngelten empor. Daraufhin wurde Hezechäus gebeten, den Raum wieder zu verlassen.
    »Versuch nun, dieses Feuer

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