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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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wach. Wenn Jokanaan vom bevorstehenden Weltuntergang sprach, trat in Jesus’ Augen eine große Leere. Jokanaan erschreckte diese Leere. Er, der mit Leib und Seele Essener war, ertrug den Zweifel dieses von allen geschätzten Novizen nicht mehr, diesen Zweifel, der offen dalag wie ein Kiesel auf der flachen Hand. Und als Jokanaan eines Tages wieder einmal — fast hätte man meinen können, aus Lust an der Provokation — auf das nahende Ende zu sprechen kam und in die braunen Augen des Novizen wieder diese seltsam schwarze Leere trat, konnte er nicht mehr an sich halten und fragte: »Du glaubst nicht an das Ende der Welt?« Im Grunde war es keine Frage, sondern eine Feststellung.
    »Noch jede Welt ist bisher zu Ende gegangen«, entgegnete Jesus. »Moses’ Welt ging unter, die Davids ebenso, und wir sind immer noch hier.«
    Jokanaans Züge verhärteten sich.
    »Die Welt kann nicht einzig und allein wegen uns Juden untergehen. Es leben noch andere Völker auf ihr. Warum sollten sie dem Tod geweiht sein, nur weil unsere Priester sich etwas zuschulden kommen ließen? Und wenn doch — dann müssen sie gerettet werden. Man muß das Ende der Welt verhindern«, fügte er fast traurig hinzu.
    »Wir sind das Volk Gottes«, beharrte Jokanaan.
    »Sind wir es?« äußerte sich Jesus zweifelnd. »Oder waren wir es vielmehr? Wenn die Welt nicht gleichzeitig mit dem Reich Davids unterging, wenn sie weiterbestand, obwohl der große Tempel einstürzte, warum sollte dann gerade jetzt das Ende nahen?«
    »Ist das alles, was meine Lehre bewirkt hat?« fragte Jokanaan mißbilligend.
    »Die Ereignisse tragen ihre Lehre in sich, eine kraftvollere und schlüssigere als die der Menschen. Zu glauben, daß die Welt zugrunde geht, bedeutet, an seinem eigenen Verfall Rache nehmen. Wir sind tief gefallen, Jokanaan, deshalb haben sich die Essener auch in die Wüste zurückgezogen.«
    Jokanaan rauschte das Blut im Kopf. All das war unerträglich und doch so einleuchtend. So klar, Herr, klar wie der lichte Tag! Er warf sich fast auf Jesus und packte ihn, das Berührungsverbot vollkommen vergessend, an den Schultern.
    Da fuhr Jesus fort: »Wir müssen eine andere Priesterschaft gründen, aber keine, die sich in die Wüste zurückzieht.«
    »Was tust du noch hier?« flüsterte Jokanaan.
    »Ich weiß es selbst nicht mehr.«
    Jokanaan ging hinaus.
    Drei Tage lang suchte er sein verlorenes Gleichgewicht, ja sogar seinen normalen Atemrhythmus wiederzuerlangen. Es wollte ihm nicht gelingen. Sein Atem ging wie gehetzt. Am Morgen des vierten Tages bat ihn Hezechäus, doch einmal mit Elifas, dem Novizen, der jetzt mit Jesus die Wohnzelle teilte, zu sprechen. Dieser war mit seinen siebzehn Jahren von solch unschuldiger Naivität, daß er sich allen wie ein offenes Buch darbot. Hezechäus’ leiser Unterton in der Stimme hätte Jokanaan eigentlich eine Warnung sein müssen. Um die Mittagszeit versuchte er dann verzweifelt, Elifas ein paar zusammenhängende Worte abzuringen.
    »Und weiter?« drängte Jokanaan, dem die Erregung die Adern an den Schläfen und am angespannt nach vom gereckten Hals hervortreten ließ.
    »Das habe ich dir ja schon gesagt«, gab der Novize in weinerlichem Ton von sich. »Ich habe einen Aufprall gehört.«
    »Elifas, mein Bruder«, versuchte Jokanaan, ihn zu beschwichtigen. »Bist du dir bewußt, daß du das alles auch geträumt haben kannst?«
    »Ich habe nicht geträumt«, widersprach Elifas resigniert. »Gerade das hat mich aufgeweckt, habe ich das nicht gesagt? Und von da an habe ich kein Auge mehr zugetan.«
    Jokanaan verschränkte die Arme, schloß die Augen, schlug sie wieder auf, betrachtete den wolkenlosen Himmel und sah dann den jungen Mann wieder an. »Wärst du bereit, vor dem Meister unseres Rates zu schwören, daß du in der vergangenen Nacht gesehen hast, wie Jesus über dem Boden schwebte?«
    »Wenn man es von mir verlangt, werde ich schwören«, gab Elifas verärgert zurück.
    »Komm mit!« befahl Jokanaan. Er wollte Efraim und Matthias bitten, den Rat zu einer außerordentlichen Versammlung einzuberufen. Aber da besteht doch ein Zusammenhang! durchfuhr es ihn plötzlich im Gehen. Da besteht ein Zusammenhang. Jesus und der Meister der Gerechtigkeit... Er erinnerte sich an das einstige Oberhaupt der Essener, den Meister der Gerechtigkeit, den der »Schlechte Priester« Alexander Jannai hatte umbringen lassen und dessen Tod der Vorbote für die Ankunft eines Messias gewesen sein sollte, eines Mannes aus dem Geschlecht

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