Ein Mensch namens Jesus
seines Herrn und Gebieters zu ergründen. Der blickte ganz freundlich drein, aber man konnte schließlich nie wissen... Noch während er nach Atem rang, küßte Ambivius den Saum der kaiserlichen Toga, spürte dann die Hand des Herrschers in seinem Nacken und vernahm Tiberius’ Stimme, als dieser ihn aufforderte, doch neben ihm Platz zu nehmen.
»Wir essen gleich zu Abend«, verkündete Tiberius. »Ich ließ dich rufen, um dich um Auskünfte zu bitten.«
Mit großen, feuchtglänzenden Augen bemühte sich Ambivius um einen möglichst hündisch ergebenen Blick.
»Diese Juden!« fuhr Tiberius fort. »Jeden Monat erreichen mich neue unerfreuliche Berichte, die sich kaum von denen unterscheiden, die du mir geschickt hast.«
An dieser Stelle meldeten sich Ambivius’ Gedärme schmerzhaft zu Wort.
»Hier ein ermordeter Soldat, dort einer, und das jeden zweiten bis dritten Tag. Ständig herrscht Aufruhr. Wenn ich recht verstehe, wird er von im Untergrund operierenden Aufständischen geschürt, die man Zeloten nennt, nicht wahr? Kurzum, es ist uns offensichtlich nicht gelungen, Ruhe und Ordnung in diesem Land herzustellen, meinst du nicht auch?« Er wartete nicht ab, was sein Gesprächspartner dazu meinte. »Mir ist zu Ohren gekommen, daß uns die Juden im Grunde los sein möchten. Bei den Kelten und den Germanen ist mir das ja begreiflich. Warum aber die Juden? Hör zu, Ambivius! Sind sie denn nicht in Rom und den anderen italienischen Städten geradezu mustergültige Staatsbürger? Was würde man zum Beispiel in Neapolis ohne sie machen? Duftwasser, Rebhühner, Perlen und Edelsteine, all dies hat die Stadt nur den Juden zu verdanken. Wenn man mal Geld braucht, dann findet sich doch immer ein Jude, der dir anstandslos etwas leiht. Habe ich nicht recht?« Auch Ambivius hatte sich kürzlich erst von einem Juden Geld ausgeliehen. »Langer Rede kurzer Sinn: In Rom sind sie zufrieden; warum sind sie es da unten nicht auch?«
»Die Religion«, brachte Ambivius mit kaum hörbarer Stimme hervor. Dann mußte er sich räuspern.
»Was soll das heißen, die Religion?« fuhr Tiberius auf. »Wir lassen sie doch in Frieden mit ihrer Religion!«
»Für sie sind fremdländische Gotteskulte in einem Land, das einst das ihre war, ein großer Frevel.«
Tiberius sah Ambivius aus seinen wäßrigen Augen an. Welch dicke Tränensäcke er doch hat, dachte Ambivius. Aber der Mund ist klein, man möchte fast meinen, der Mund einer Frau.
»Überleg dir deine Antwort gut!« mahnte Tiberius. »Warum sind sie so glücklich über eine Synagoge am Ufer des Tiber, und warum sollten sie einen Jupitertempel da unten nicht dulden?«
»Mein Kaiser, in Rom haben sie doch Israel vergessen. In Israel dagegen können sie Rom nicht vergessen«, entgegnete Ambivius.
Er ist gar nicht so dumm, wie er aussieht, mußte Tiberius sich insgeheim eingestehen.
»In Rom, Cäsar, kannst du sie ohne weiteres in eine römische Uniform stecken, in Jerusalem aber spucken sie hinter dem Rücken der Legionäre aus.«
»Trotzdem, sie wissen schließlich, daß wir sie nicht hassen; daß jemand, der in Rom schlecht über die Juden spricht, sich selbst in Verruf bringt. Und sie wissen doch auch, daß Palästina nun mal nicht mehr ihr Land ist.«
»Sie haben nichts dazugelernt und nichts vergessen«, bemerkte Ambivius. »Sie leben nach wie vor im Land ihres Helden, des Königs David. Wir sind für sie Fremde, Unterdrücker. Wir zwingen ihnen unser Gesetz auf. Sie betrachten sich als ein Volk, das von seinem Gott unter allen Völkern der Welt auserwählt wurde, und folglich fühlen sie sich den übrigen Menschen überlegen. Viele Juden träumen davon, die Waffen gegen uns zu erheben; bis jetzt kämpfte noch jeder für sich allein, aber nun wollen sie gemeinsam zur Tat schreiten.«
»Und die Könige, die man ihnen gegeben hat? Sind sie nicht zufrieden mit ihnen?«
»Sie verabscheuen die Dynastie der Herodeer.«
»Und meinst du wirklich, daß sie aus religiösen Gründen so denken und handeln?« fragte Tiberius. »Ich kenne ihre Religion immerhin. Mir ist nicht bekannt, daß sie zum Kampf gegen Rom aufruft.«
In Ambivius war der Verdacht gereift, daß Tiberius nicht die geringste Ahnung vom Wesen der Juden hatte, und wahrscheinlich wußte er ebenso wenig Bescheid über die Gallier, Insubrer, Teutonen, Nemeter oder Wangionen... Manch einer kam wohl zum Thron wie die Jungfrau zum Kind. Und ich, dachte er bei sich, ich war wohl dazu auserlesen, mir das »flotte Fieber« in
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