Ein Mensch namens Jesus
hinzuzufügen: »Ein König ohne Volk, mein lieber Ambivius, ist der reinste Eunuch.«
XXII.
Zweikampf in Antiochia
Das Ende der Welt! dachte er, während er den Sonnenaufgang betrachtete. Das Ende ihrer Welt! Ja, das wohl! Ein Leben voll Angst und Bitterkeit hatte sie alle zu verkalkten Greisen werden lassen! Und so herrschten sie über ihre kleine Welt, nur danach bestrebt, alle dort Lebenden als verkalkte, auf den Weltuntergang ausgerichtete Gottesdiener zu konservieren; lebloser als die zur Salzsäule erstarrte Frau Lots. Das Ende der Welt! Lachte der Herr nicht schon über die Dummheit seiner Geschöpfe? Hatte der ganze Rat der Zwölf wirklich nur das eine im Gedächtnis behalten; daß er allein schweben konnte, sie aber nicht? Warum besaß er denn diese Fähigkeit? Er hatte nicht gewagt, es ihnen zu sagen, und doch hätte er es tun sollen, ihnen in ihre leblosen, zu Salzgebilden erstarrten weißen Gesichter schreien sollen: Ich schwebe, weil ich leicht bin, und ihr, Rabbiner, klebt am Boden, weil ihr schwer seid!
Er hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan und kam dennoch leichten, fast federnden Schrittes in Jericho an. Wie gern hätte er jetzt ein Haus gefunden, in dem Joasch und Saphira ein Essen gaben! Mit Wein, mit viel gutem Wein, nicht jenem gestreckten Krätzer, den er fast zwei Jahre lang getrunken hatte. Er war so glücklich, Qumran endlich hinter sich zu haben, daß er über das ganze Gesicht strahlte. Die Menschen auf der Straße lächelten ihn an. Und Jokanaan? Armer Jokanaan, der Herr möge ihm die nötige Seelenstärke verleihen, um ihm über seinen Irrtum hinwegzuhelfen! Denn er hatte sich geirrt, der sanfte, glühende, schöne Jokanaan. Auch er hatte an einen verbitterten Allmächtigen geglaubt, an einen Gott, der aus Verdruß über sein Volk alle Himmelslichter ausblies. Welch unseliges Los der Jugend: von Unruhe getrieben, hat sie es immer allzu eilig, einen Meister zu finden! Warum sollte der Herr die Finsternis des Untergangs über die Erde breiten, Er, der nichts als Licht war? Warum sollte Er Seine Ankunft oder die Seines Messias mit Dunkelheit ankündigen? Das wäre doch eher eine Methode des... Teufels!
Er verspürte Hunger und Durst. Also aß er den Käse und das Brot, das Jokanaan in sein Bündel gesteckt hatte, und trank den letzten schlechten Wein aus Qumran.
»Herr, ich will froh sein am Tag, an dem ich einmal sterben muß«, betete er nach beendigter Mahlzeit. »Nimm das als meine Danksagung!«
Er besaß keinen roten Heller mehr. Da entdeckte er die Werkstatt eines Zimmermanns, und er ging hin, um nach Arbeit zu fragen. Der Zimmermann schien sein eigenes Gesicht selbst aus Zedernholz geschnitzt zu haben. Er stellte ihn ein und ließ ihn sofort mit der Arbeit beginnen. Er sah ihm aufmerksam zu, beobachtete, wie er mit der flachen Hand das Hobeleisen überprüfte und die Risse im Holz mit einer Lösung aus Harz und Alkohol zustrich.
»Du bist tatsächlich Zimmermann«, bemerkte er.
»Habe ich etwas anderes behauptet?«
»Die Leute reden viel, wenn der Tag lang ist. Woher kommst du?«
»Aus dem Süden«, antwortete Jesus vorsichtig.
»Aus Ägypten?«
»Nein, aus Qumran.«
»Hast du dort bei den Essenern gelebt?«
»Ja.«
»Und warum bist du nicht geblieben?«
»Ich glaube nicht, daß es irgendeinen Nutzen hat, auf meinen vier Buchstaben hocken zu bleiben und auf das Ende der Welt zu warten.«
»Ist das alles, was sie tun?« erkundigte sich der Zimmermann ungläubig.
»Im Grunde genommen, ja.«
»Aber sie sind fromm«, bemerkte der Zimmermann in halb fragendem Ton.
»Es ist einfach, fromm zu sein, wenn man nichts tut.«
»Haben sie dich davongejagt?«
»Nein, ich bin aus freien Stücken gegangen«, antwortete Jesus und unterbrach seine Arbeit, um dem Zimmermann in die Augen zu sehen.
»Aber kein Mensch kehrt aus Qumran zurück!«
»Es gibt Ausnahmen, wie du siehst.«
Der Zimmermann wollte sich unbedingt ein wenig unterhalten und lud Jesus ein, gemeinsam mit ihm zu Abend zu essen. Endlich hatte er einen Zuhörer gefunden, einen besseren als seinen fünfzehnjährigen Lehrling, und was für einen noch dazu: einen Mann, der direkt aus Qumran kam! Sie aßen gebratene Tauben, Quark und Oliven; nur der Wein war schlecht.
»Was zahlst du mir am Tag?« fragte Jesus.
»Einen Schekel.«
»Gib ihn mir!«
Er ging einen Krug Zypernwein kaufen, kam zurück und stellte ihn auf das Brett, das ihnen als Tisch diente. Der Zimmermann machte große, erstaunte
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