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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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die ganze Zeit über?« murmelte er, während er den Besucher in gerührtem Gefühlsüberschwang an sich drückte. Und ohne Jesus Zeit zu einer Antwort zu lassen, zog er ihn ins Haus und rief die ganze Familie, Männer, Frauen, Kinder, zusammen. Eine ganze Horde war das, die da freudestrahlend herbeilief. Wasser wurde aufgesetzt, man half ihm aus den Kleidern, die den Frauen gleich zum Waschen gegeben wurden, und holte frische Kleider aus den Truhen.
    Elias war dicker geworden, ebenso seine Frau, und die fünf Kinder, die den Gast mit unverhohlener Neugier anstarrten, schienen auch nicht gerade unterernährt. Jesus kam gar nicht zu Wort, Elias und die anderen quirlten pausenlos um ihn herum. Der Tisch wurde gedeckt, es gab Getreidesuppe mit Reisch, dann Käse, Salate, Brot und Honig, und der Wein war kühl und wohlriechend.
    »Meister, Meister, wo warst du?« wiederholte nun Elias seine Frage. »Weit«, sagte Jesus endlich. »Am Pontus, in Ägypten, Mazedonien...«
    »Meister, wir brauchen dich hier!«
    »Warum nennst du mich Meister? Ich bin nicht mehr dein Meister.«
    »Du bist dazu geboren, ein Meister zu sein«, erwiderte Elias.
    »Und warum brauchst du mich?«
    Elias reagierte zunächst nicht und starrte ins Leere. »Es hat sich so viel geändert in Kafarnaum...«, meinte er dann. »Ich verdiene gut. Ich habe fünf Kinder. Meine Frau ist ein Goldstück. Ich bin ein geachteter Mann. Aber wie traurig ist doch alles hier!«
    Er trank einen Schluck Wein aus einem blauen, syrischen Glas. Ja, die Geschäfte schienen gut zu gehen; auch Jesus hatte ein solches Glas vor sich; er bemerkte, daß sie vollmundigen, dunklen Wein aus Antiochia tranken.
    »Vor kurzem habe ich Zibeon wieder einmal besucht. Du erinnerst dich doch an Zibeon, den jüngsten Lehrling? Er arbeitet in Kana«, erzählte Elias, während er sich den Mund mit einem bestickten Tuch — teures Leinen aus Rhodos — abwischte, und Jesus stellte fest, daß seine eigene Serviette noch reicher bestickt war. »Er hat eine Menge Kunden. Auf Intarsienarbeiten für Möbel hat er sich spezialisiert, Ebenholz mit Elfenbeinintarsien, Zedernholz mit Einlegearbeiten aus Silber oder Kupfer... Sechs Monate, ja sogar ein Jahr im voraus erhält er Aufträge von überall her. Allein schon durch den des Prokurators Gratus, für den er Sitzmöbel anfertigte, hat er sein Schäfchen ins trockene gebracht. Und dennoch, auch Zibeon ist nicht froh. >Wer sind wir?< sagt er. >Kaufleute? Sind wir ein Volk von Kaufleuten geworden? Warum lesen wir dann überhaupt noch die Heiligen Bücher? Damit wir unsere Bitterkeit nicht verlieren? Wenn wir Jesus noch unter uns hätten, ja, der könnte uns neue Kraft geben.< Auch ihm, Zibeon, fehlst du.«
    Jesus seufzte unwirsch.
    »Auch andere als Zibeon, selbst Leute, die dich nicht kennen, würden dir dasselbe sagen. Nicht ein Tag ist vergangen, an dem ich nicht an deinen Vater Josef und dich gedacht habe. Wenn du meine Frau fragst, wird sie es dir bestätigen.«
    Jesus aß schweigend zu Ende. Dann fragte er mit leiser Stimme: »Was erwartest du von mir? Was erwartet Zibeon? Und was können die anderen von mir erwarten?«
    Elias blickte zu Boden und antwortete, er wisse nicht, wie er es ausdrücken sollte, ihm fehlten die richtigen Worte.
    »Ihr habt doch die Rabbiner«, sagte Jesus. »Und ihr habt die Bücher.«
    »Die Rabbiner...«, murmelte Elias. »Nein, die Rabbiner...« Er schüttelte heftig den Kopf. »Die Bücher... die Bücher allein lesen... Du verstehst doch, was ich meine... Quäl mich nicht so, Meister!«
    »Wieso quäle ich dich, wenn ich dich bitte, dich klar auszudrücken?«
    »Wir gehen unter! Das weißt du doch. Wir brauchen einen Meister, der uns da wieder herausführt!«
    »Und du meinst, ich sei dieser Führer. Aber ich bin kein Zelot, und das weißt du auch.«
    »Nein!« protestierte Elias. »Ich dachte nicht an einen Zeloten, und ich kann dir versichern, daß Zibeon ebensowenig einen Zelotenführer im Sinn hat. Nein, einen Meister«, sagte Elias niedergeschlagen, »einen Meister, der uns aus dieser Finsternis helfen könnte. Ein oder zwei Generationen später werden wir nichts anderes mehr sein als Vasallen und Abhängige der Römer. Warum tust du so, als verstündest du das nicht?«
    »Und wer sollte ich sein, daß ich euch aus der Finsternis helfen könnte?« sagte Jesus leise, wie zu sich selbst.
    »Ich sage ja, unser Meister. Ich habe dich seit acht Jahren nicht mehr gesehen. Damals warst du nur ein Halbwüchsiger, noch

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