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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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Körper einer Schwalbe, der sich mit Wind füllt... Welcher Mensch könnte von sich behaupten, er sei frei von Sünden? Ich flehe dich an, mich zu taufen.«
    »Einem jeden seine Aufgabe«, beharrte Jesus. »Die Lämmer führen keine Herde an, und die Früchte bringen keine Blüten hervor. Du sollst es sein, der mich tauft.«
    Jokanaan schloß die Augen und bog den Kopf zurück. Schauer durchliefen seine Muskeln, wie Fische unter der Wasseroberfläche dahinhuschen.
    »Ich bin dein Diener«, sagte er dann leise.
    Jesus entkleidete sich und stieg bis zur Hüfte in den Jordan. Jokanaan, der vor ihm stand, tauchte seine Schale ins Wasser und goß Jesus langsam den Inhalt über den Kopf.
    »Wäscht man die Vögel am Himmel? Oder die Lilien auf dem Feld?« murmelte Jokanaan statt der rituellen Worte, die er wohl für gewöhnlich dabei sprach. »Doch ich muß meinem Meister gehorchen...« Gleich wird er in Trance fallen, dachte Jesus, als Jokanaan auch schon zu schwanken begann. Jesus stützte ihn eiligst und brachte ihn ans Ufer zurück. Einige Männer, die keine Täuflinge zu sein schienen, zogen ihn aus dem Wasser und setzten ihn in den Schatten.
    Schüler, dachte Jesus, während er sich mit der flachen Hand trockenrieb, bevor er sich wieder ankleidete. Jokanaan hatte also Schüler. Zwölf. Nach dem Vorbild des Rates in Qumran. Jokanaan schien sich wieder erholt zu haben, und Jesus setzte sich zu ihm.
    »Die Zeit ist reif«, sagte Jokanaan erneut, »seht, dies ist der Bote des Herrn.«
    Jesus reagierte nicht. Sollte er protestieren und erklären, er sei nicht der Bote des Herrn? War nicht jeder Mensch einer? Und was hätte es genützt, Jokanaan zu widersprechen! Es war ganz offensichtlich, daß der Eremit den Boden der Wirklichkeit verlassen hatte und sich Visionen hingab.
    »Bist du der Messias?« fragte einer der Schüler, zu Jesus gewandt. »Wer kann schon bei Tagesanbruch sagen, ob in der Abenddämmerung die Sonne scheinen wird?« gab Jesus zurück.
    »Weißt du, wann die Sonne aufgehen wird?«
    »Gott kann, wenn Er will, die Sonne daran hindern aufzugehen, ebenso wie Er ihren Lauf am Himmel bestimmt hat.«
    »Er heißt Josua«, erklärte der andere zwischendurch seinen Mitbrüdern.
    »Als wir noch in Qumran waren«, sagte Jokanaan, »hatte ich Augen, aber konnte nicht sehen. Während ich durch die Finsternis kroch, sahst du das Licht des Herrn. Dein Vorbild ist es, das mich hierhergeführt hat. Meine Aufgabe ist bald erfüllt.« Wieder neigte er seinen Kopf nach hinten. Jesus hatte den Eindruck, sein Adamsapfel müsse gleich die Haut am Hals durchbohren.
    »Keine Aufgabe ist erfüllt, solange das Wort Jahwes nicht überall auf Erden verkündet worden ist«, gab Jesus zu bedenken. »Wir alle müssen auf die Morgendämmerung des Herrn warten.«
    »Und das wird der Tag sein, an dem der Messias erscheint«, murmelte Jokanaan, doch Jesus erwiderte darauf nichts. »Wo bist du nur all die Jahre gewesen?« fragte Jokanaan.
    »Ich habe versucht, die Illusionen der Welt zu ergründen.«
    »War denn das nötig? Wußtest du die Antworten nicht schon im vorhinein?«
    »Ob ich sie wußte? Wie hätte ich sie finden sollen? Und außerdem, habe ich sie überhaupt gefunden?« versetzte Jesus. Er bemühte sich, nicht schon beim ersten Wiedersehen mit Jokanaan in Streit zu geraten, doch die ekstatische Verehrung, die sein Vetter ihm entgegenbrachte, war ihm unangenehm, ja lästig. Jokanaan hätte besser daran getan, ebenfalls durch die Lande zu ziehen, dann wäre er mit seinen Ankündigungen eines Messias nicht so rasch bei der Hand gewesen. Jokanaan hatte Qumran nur physisch verlassen, in seinem Herzen war er Essener geblieben. Immer noch wartete er auf den Weltuntergang, und folglich auf einen Messias. Einer aus der Schar, dessen Geschlecht sich unter dem nassen Lumpen um seine Hüften abzeichnete, hatte Jesus’ mißbilligende Blicke auf Jokanaan bemerkt und reichte seinem Meister ein Kleidungsstück, das sich beim genaueren Hinsehen als eine Art Tunika aus Kamelhaut entpuppte. Jokanaan erhob sich, um sich das Kleidungsstück überzustreifen. Von Trägem gehalten, schlotterte es um den ausgezehrten Körper.
    »Mach uns die Freude und iß mit uns«, bat Jokanaan.
    Die Gefährten bereiteten das Essen. Es war dieselbe Mahlzeit, wie Jesus sie einst mit Obed geteilt hatte: Heuschrecken und wilder Honig. Gewiß war das auch die Nahrung der ersten Essener gewesen, in Qumran allerdings hatten sie es nie vorgesetzt bekommen. Stellten sich

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