Ein Mensch namens Jesus
ist das Haus des Herrn! Ihr habt es in eine Räuberhöhle verwandelt!« Um ihn bildet sich eine Menschentraube, während die Händler durch das Nikanor-Tor fliehen, wo normalerweise die Leviten stehen und singen. Eine Gruppe aus Priestern und Leviten hat sich oben auf der Treppe gebildet, und sie betrachten mit düsterer Miene das Schauspiel. Ein Levit schreitet die Treppe herab und geht auf Jesus zu, um den sich die ganze Menge geschart hat. »Er ist der Reiniger!« schreien die Leute.
»Ja, er ist der Messias!« rufen andere.
Der Levit erfaßt mit einem Blick die Situation, er hört die Leute schreien, daß es höchste Zeit gewesen sei, mit diesen Händlern und Geldwechslern Schluß zu machen, das seien alles Diebe.
»Wer bist du?« fragt er Jesus. »Was ermächtigt dich, diesen heiligen Ort zu stören?«
»Gott ist unser aller Vater, und ich habe deshalb dasselbe Recht wie jeder andere, zu verhindern, daß Sein Haus in ein Räubernest von Händlern verwandelt wird.«
»Das ist nicht dein Haus. Es wurde den Priestern anvertraut, die sich darum kümmern.«
»Wenn die Priester zulassen, daß das Haus Gottes in einen Markt verwandelt wird, kann man dieses Haus genausogut zerstören. Und man würde nur drei Tage brauchen, um es in den Herzen der Menschen wiederaufzubauen.«
Überraschtes Murmeln in der Menge.
»Das ist leicht dahingesagt«, antwortet der Levit, »aber dieser Tempel wurde in sechsundvierzig Jahren errichtet. Und du willst ihn in drei Tagen wiederaufbauen?«
Jesus nickt.
»Er ist der Erneuerer, den wir erwarten!« rufen die Leute wieder. Der Levit zuckt mit den Achseln. Die Tempelpolizei wartet schon am Nikanor-Tor, um Jesus und die Seinen auf ein Zeichen des Leviten hin zu verhaften.
»Dieser Mann ist von Gott gesandt!« ruft ein Greis, der auf den Leviten zugeht. »Es ist gottlos, daß die Händler die Frömmigkeit des Volkes ausnützen!«
»Ihr Priester findet es wohl ehrenhaft, daß man hier für ein Taubenpaar dreimal mehr als auf dem Markt bezahlen muß!« schreit ein anderer. Die übrigen Leviten kommen herbei. Von allen Seiten wird Jesus lauthals verteidigt. Daß die Priester Komplizen von Dieben seien, daß die Gläubigen von den Geldwechslern ausgebeutet würden, und andere Proteste. Die Leviten schauen düster drein angesichts der sie umgebenden Feindseligkeit. Derjenige, der als erster auf ihn zugegangen ist, sagt zu Jesus: »So geht man mit diesen Fragen nicht um.« Und er kehrt langsam zum Nikanor-Tor zurück. Seine Gefährten zögern und folgen ihm dann.
»Diese Fragen dürfte es erst gar nicht geben!« ruft Johannes ihm nach.
Der Levit dreht sich um und erwidert, daß sie sich wiedersehen würden.
»Bist du der Messias?« fragen die Leute nun Jesus. Ein Mann, der ein Taubenpaar an den Krallen hält, zupft Jesus am Ärmel.
»Nur der Herr kennt den, dem die Salbung bestimmt ist!« erwidert Jesus.
»Auf dich wartet seit Ezechiel das ganze Land!« sagt der Mann mit den Tauben. »Gesegnet sei dieser Tag!« Andere stimmen in den Segen ein.
»Warum Ezechiel?« fragt Jesus und sieht dabei beunruhigt zur Tempelpolizei hinüber, die immer noch neben dem Nikanor-Tor steht. »>In den letzten Tagen dieser Königreichen, rezitiert der Mann. »Kennst du die Worte nicht? >In den letzten Tagen dieser Königreiche, wenn ihre Sünde den Höhepunkt erreicht, wird ein König erscheinen, dunkel und streng, ein Meister der List...<«
»Aber das steht doch bei Daniel«, antwortet Jesus. »Ich bin kein Meister der List, und in diesen Versen ist nur von der Macht Gottes die Rede.«
»Ja, ja«, meint der Mann zufrieden, ergreift eine Falte von Jesus’ Gewand und reibt den Stoff zwischen Daumen und Zeigefinger, dabei lächelt er. »Das ist Leinen, nicht wahr? Erinnerst du dich nicht an den in Leinen gekleideten Mann bei Ezechiel, der denen, die über die Schandtaten klagen, die überall im Land stattfinden, ein Zeichen auf die Stirn malt, damit sie der Zorn Gottes verschone?«
»Ich erinnere mich«, meint Jesus, während Thomas ihm bedeutet, es sei besser, zu gehen.
»Mach mir ein Zeichen auf die Stirn«, drängt der Mann. Und Jesus berührt den Mann mit dem Daumen zwischen den Augen. Der Gesichtsausdruck des Mannes verändert sich, er schaudert und ruft aus: »Das ist etwas anderes! Du trägst in dir eine heilige Macht!«
»Zeichne mich! Zeichne mich!« baten nun auch die anderen.
Aber Thomas flüsterte ihm ins Ohr, daß dies hier nicht die Synagoge von Kafarnaum sei und daß es hier eine
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