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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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starke Tempelpolizei gebe, die nur darauf warte einzugreifen. Jesus gab nach, und die fünfzehn Männer drängten sich zum nächsten Tor, dem Tor der Gesänge. Sie folgten Thomas’ Rat, Jerusalem so schnell wie möglich durch das Aschentopftor zu verlassen, das andere das Goldene Tor nennen. Sie liefen den Abhang hinunter zum Kidron, den sie bei einer Furt durchquerten, und gingen am Olivenhain von Getsemani entlang. Judas Iskariot hatte die Idee gehabt, sich nach Betanien zu flüchten, weil er dort zuverlässige Freunde kannte, und unterwegs fragte ihn Jesus nun, ob diese Freunde immer noch zuverlässig seien.
    Judas beteuerte, er sei unter Lebensgefahr nach Jerusalem gekommen, da er von sämtlichen Häschern in Judäa gesucht werde, und er wisse, wovon er rede. Die besagten Freunde seien zwei Brüder, und er habe sich, ebenso wie Simon der Zelot, bei ihnen versteckt. Als Jesus sich daraufhin nach dem Genannten umsah, sagten ihm die anderen, Simon sei in Jerusalem geblieben, um Freunde zu besuchen. Sicher Zeloten, dachte Jesus, denn alle Zeloten Judäas müssen jetzt wohl jubilieren. Früher oder später würde er klarstellen müssen, daß er, Jesus, kein Zelot war.
    Johannes’ Wangen waren vor Erregung gerötet. »Ein schöner Tag!« sagte er. Und als Jesus lächelte, ohne zu antworten, beharrte Johannes: Ob es denn etwa kein schöner Tag sei? Warum, wollte Jesus wissen. »Weil Worte schnell vergessen sind, wenn ihnen nicht Taten folgen. Jetzt ist alles klar.« Was denn klar sei? »Daß die Tempelleute unmoralisch sind. Und alle werden es sagen.« Er sprach abgehackt, denn sie gingen schnell.
    »Ich wollte das, was ich heute getan habe, schon vor langer Zeit tun, seit ich zum erstenmal im Tempel war«, meinte Jesus.
    »Und jetzt hast du die Autorität, es zu tun.«
    Jesus dachte eine Zeitlang über das Wort »Autorität« nach. Sicher, er hatte sie, aber er wußte nicht, wer sie ihm verliehen hatte. Er blieb stehen, die anderen auch. »Erwartet nicht«, sagte er mit ernster Stimme, »daß wir immer so aufsehenerregende Dinge tun.«
    Ein Windstoß fuhr über den Weg, wirbelte Staub auf und ließ ihn auf den Feldern tanzen.
    »Was wir tun müssen, geht über den Tempel und Jerusalem hinaus«, sagte er noch.
    Wieder einmal waren sie alle ratlos. Raben flogen dicht über ihren Köpfen hinweg und krächzten.
     
    Endlich waren sie da. Jesus wurde überschwenglich aufgenommen. Natürlich, die Zeloten hielten ihn für einen der Ihren. Er blieb schweigsam. Alle waren enttäuscht, denn sie hatten einen anregenden Abend erwartet, an dem er von der Schlägerei erzählen und einige pikante Details über das anschließende Durcheinander erwähnen würde. Nichts dergleichen, auch nicht, als Judas Iskariot, Bartolomäus, Johannes und Jakobus untereinander die Ereignisse besprachen und immer wieder Ausrufe »Ein wahnsinniger Tag!« ertönten. Sie setzten sich zu Tisch, das heißt, sie setzten sich auf den Boden in diesem Haus, einem sehr kleinen Haus, und aßen Getreidesuppe mit Fleischresten, wobei sie Jesus aus den Augenwinkeln beobachteten. Hätte er seine Schar nicht wenigstens ein bißchen ermutigen können? Sie hatten doch nichts Böses getan... Es klopfte an der Tür: Simon der Zelot mit einer Frau. Eine Frau! Hinter ihnen stand ein Mann, ein reicher Mann, wenn man nach dem Mantel aus gebürsteter Wolle, dem sorgfältig gestutzten und geölten Bart, den Sandalen mit Silberschnallen und vor allem seiner Haltung nach urteilen wollte. Aber eine Frau! »Ich habe mir die Freiheit genommen«, sagte Simon der Zelot und schloß die Tür, »zwei Menschen mitzubringen, die unseren Meister kennenlernen wollen. Dies hier ist Nikodemus, der zum Sanhedrin gehört, und Maria Magdalena, die Schwester eines Mannes, den wir gut kennen, Lazarus von Betanien.«
    Ein Mitglied des Sanhedrin! Sie erstarrten vor Bestürzung, das Essen blieb ihnen im Halse stecken. Jesus stand auf, und Nikodemus ging auf ihn zu, würdevoll, aber ehrerbietig. Die Frau kniete zu Jesus’ Füßen nieder, ergriff seine rechte Hand und küßte sie. Jesus zog sie wieder hoch. Die Erregung verschönte sie, ihre Haut leuchtete rosig, ihre Bewegungen waren harmonisch, und ihre Augen strahlten.
    »Hab keine Furcht, ich bitte dich«, sagte Nikodemus, »ich komme als Pilger der Wahrheit hierher und nicht als Verbündeter deiner Feinde.«
    »Ich fürchte nur den Herrn«, erwiderte Jesus.
    »Ein anderer wollte sich uns noch anschließen«, sagte Nikodemus, »denn er ist fast

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