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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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müssen irgendwo diese Erregung stoppen, sonst wird er noch in den Tempel kommen und dort Unruhe säen.«
    »Ich würde mich glücklich schätzen«, antwortete Gedalja.
    »Du würdest dich glücklich schätzen?« wiederholte Hannas empört.
    »Sicher. Wir würden ihn sofort von der Tempelpolizei verhaften lassen. Dann könnten wir ihn zwei oder drei Jahre im Gefängnis verfaulen lassen.«
    »Und die Reaktionen?«
    »Welche Reaktionen? Er ist hier unbekannt. Nach einigen Streitereien und einigen Stunden wäre die Sache vergessen.«
    »Und wenn er nicht nach Jerusalem kommt?«
    »Er wird kommen, er wird kommen!« versicherte ihm Gedalja und leckte sich einen Tropfen Soße von der Unterlippe. »Dieser Mann ist ehrgeizig, Jerusalem wird sein größtes Theater sein.«
    »Aber angenommen, er kommt nicht?«
    »Nun, dann verständigen wir den Tetrarchen. Wir lassen ihn in Galiläa verhaften.«
    »Da werden die Reaktionen noch heftiger sein.«
    »Sicher, aber das wird dann Herodes’ Sache sein.« Er lächelte, doch Hannas blieb ernst.
    »Was für einen Gefallen wir auch vom Tetrarchen wünschen, er wird ihn uns teuer bezahlen lassen«, sagte der Hohepriester.
    »Es genügt, wenn wir ihm sagen, daß dieser Mann behauptet, der wahre Nachfahre Davids zu sein«, schlug Gedalja vor. »Soll ich unsere Mittelsmänner im Palast darauf ansetzen?«
    »Versuch, sie auszuhorchen«, antwortete Hannas, der mit einer ihn plötzlich überkommenden Trübsinnigkeit eine Keule seines Rebhuhns betrachtete. Es war Neumond, und den hatte er noch nie geliebt; jeden Monat um diese Zeit fühlte er sich so müde wie sonst nie, und diesmal litt er außerdem an einem Gichtanfall.
    »Übrigens, aushorchen«, fuhr Gedalja fort, »ich habe mir erlaubt, eine Gerüchtekampagne gegen diesen Mann in Gang zu setzen.«
    »Eine Gerüchtekampagne?« wiederholte sein Gesprächspartner fragend, wobei er die Augen verdrehte und mit den Wimpern klimperte.
    »Weißt du, er versteht sich gut mit den Samaritern, und abgesehen davon, daß er der angebliche Sohn eines verrückten, rebellischen alten Priesters ist, verkehrt er mit Frauen von zweifelhaftern Ruf.« Gedalja hatte sich mehr Neugierde, wenn nicht sogar Begeisterung von seinem Vorgesetzten erwartet, aber seine letzten Worte stießen nur auf eine unerwartete Gleichgültigkeit. Ein trübsinniges Schweigen herrschte im Zimmer. Die beiden Leviten, die an der Wand lehnten, ähnelten Statuen. Hannas hatte aufgehört zu essen und betrachtete einen Punkt auf dem Boden. Gedalja selber wurde von einem unbegreiflichen Unbehagen erfaßt; er versuchte, den Punkt auszumachen, der die Aufmerksamkeit des Hohenpriesters fesselte. Es war eine Kakerlake, und obwohl sie kühn über die Fliesen huschte, schien sie dieselbe Hemmung ergriffen zu haben, wie sie im Zimmer herrschte. Die Leviten erkannten den Gegenstand der metaphysischen Betrachtung ebenfalls, und mit einem kurzen Klappern der Sandale, die er in die rechte Hand genommen hatte, setzte einer von ihnen dem Leben des Eindringlings ein Ende. Der Hohepriester seufzte auf.
    »Eine Gerüchtekampagne...« wiederholte er. »Aber wenn...« Er fing sich wieder. »Wirklich«, sagte er abwesend, fast dümmlich. »Tatsächlich.« Dann stand er auf, um das Dankgebet zu sprechen. Gedalja bemerkte, daß Hannas an diesem Abend die Worte fast mechanisch von den Lippen kamen.
     
    Ebenfalls zur gleichen Stunde ging im Haus eines Gemüsehändlers in Jerusalem die Mahlzeit ihrem Ende zu. Der Händler Jeremias hatte einen entfernten Verwandten eingeladen, der in Kafarnaum lebte. Er war gerade angekommen und redete nur vom Messias. Die Frauen des Hauses, die Mutter von Jeremias, seine Schwiegermutter, seine Frau, seine Schwester, seine verwitwete Schwägerin mit ihren beiden Töchtern und die zwei Dienerinnen, die an der Zimmertür standen, hörten zu. Jeremias versuchte mehrmals, das Thema zu wechseln, aber sein Gast war so erfüllt von seiner Geschichte, daß es ihm nicht auffiel.
    Am nächsten Tag summte der ganze Häuserkomplex der Umgebung von Berichten, nach denen der Messias in Galiläa eingetroffen sei. Niedere Priester des Tempels, die bisher nichts von Jesus’ Existenz gewußt hatten, erfuhren, daß ein Mann, der als der Messias galt oder sich als solcher ausgab, dem Hohenpriester und Gedalja große Sorge bereite.
    Auch in Herodes’ Palast kamen Gerüchte in Umlauf. Die Pharisäer aus dem Erdgeschoß wurden langsam ungehalten, weil sie auf zu viele Fragen antworten mußten, die sich

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